Architektur

Innenräume: Grundlagen, Konzepte, Ansätze

Hindernisfrei bauen

Aus dem Grundrecht der Gleichstellung aller Menschen, welches Bestandteil der Bundesverfassung ist, kann abgeleitet werden, dass der gebaute Lebensraum allen Menschen offenstehen soll. Er soll auch für Personen, die in ihrer Beweglichkeit von Geburt an, durch Unfall, Krankheit oder altersbedingte Beschwerden motorisch oder sensoriell eingeschränkt sind, weitestgehend selbstständig zugänglich sein. Dieses Postulat betrifft einerseits zentral Menschen mit einer körperlichen und/oder einer geistigen Behinderungen, andrerseits hochaltrige Menschen mit körperlichen und/oder kognitiven Einschränkungen.

Nationale Vorgaben

Vorgaben für ein hindernisfreies Bauen macht ab 1. Januar 2009 die Norm SIA 500. Sie ersetzt die Norm SN 521500 Hindernisfreie Bauten aus dem Jahr 1988. Thematisiert werden darin sowohl für öffentlich zugängliche Bauten wie auch für Bauten mit Wohnungen die Erschliessung, die Orientierung und die Beleuchtung, Raumakustik und Beschallungsanlagen, Bedienelemente und Beschriftungen, spezifische Einrichtungen, Alarmierung und Evakuierung. Diese Vorgaben sind aber für Bauten für Menschen mit Demenz sehr kritisch zu verwenden und an die spezifischen Bedürfnisse anzupassen. So genügen zum Beispiel die Angaben für Sanitärräume nicht. Wo vorhanden, sind auch kantonale Richtlinien beizuziehen.

Nationale Vorgaben

Hindernisfreie Architektur - Die Schweizer Fachstelle

Die Schweizerische Fachstelle für hindernisfreie Architektur fördert eine konsequent behindertengerechte Bauweise in der Schweiz. Als nationales Kompetenzzentrum für behindertengerechtes Bauen befasst sich die Fachstelle mit sämtlichen Belangen in diesem Fachbereich. Als wesentliche Ergänzung zu den gesamtschweizerischen Aufgaben, welche die Fachstelle wahrnimmt, ist ein Netz von kantonalen Beratungsstellen für die Interessenvertretung für das Bauen vor Ort erforderlich. Die Schweizerische Fachstelle steht den dezentralen Beratungsstellen unterstützend und koordinierend zur Verfügung. Sie hat im Demenzbereich folgende Dokumentationen und Richtlinien erarbeitet:

  • Zweite überarbeitete Auflage der Planungsrichtlinien für hindernisfeie Wohnbauten
  • Checkliste Planungsrichtlinien hindernisfreie Wohnbauten
  • Merkblatt 7: «Rollstuhlgängigkeit bei Sonderbauten»
  • Haltegriffe richtig montieren
  • Hinweise für die Planung hindernisfreie Wohnungen
  • Checkliste für Wohnungsanpassungen
  • Merkblatt Wohnungsanpassungen bei Demenz
  • Checkliste Wohnungsanpassungen bei Demenz

Schweizerische Fachstelle hindernisfreie Architektur

Healing Architecture

Ein spezifischer Ansatz, der auch für geeignete Wohnformen von Menschen mit Demenz anregende Impulse vermittelt, ist das Konzept Healing Architecture. Der Ursprung dieses Ansatzes liegt bei der Frage nach der geeigneten Spitalarchitektur als unterstützendem Faktor in den menschlichen Heilungsprozessen; sein Schwerpunkt liegt speziell auf dem Gebiet der Innenarchitektur. Healing Architecture geht von der These aus, dass die gebaute Umgebung den Menschen sowohl psychisch als auch physisch beeinflusst. Dabei wird die räumliche Qualität geprägt durch eine Vielzahl von Einflussfaktoren wie etwa Licht, Farbe, Geräusch, Geruch und Orientierung. Sie alle tragen nachweislich zum Wohlbefinden und zur Genesung bei. Entsprechend findet Healing Architecture in der Planung und Umsetzung von Krankenhäusern und anderen Bauten des Gesundheitswesens immer mehr Berücksichtigung. Für Pflegeheime und Institutionen für Menschen mit Behinderung sollte dies in besonderem Masse gelten. Denn gerade Menschen mit mehrfachbehinderungen, pflegebedürftigkeit und einer demenziellen Erkrankung sind auf eine beschützende, vertrauenerweckende Innenarchitektur mit zugleich anregender Wirkung angewiesen. Susanne Wagner, Innenarchitektin mit Atelier in Konstanz, Bodensee, beschreibt die wichtigsten Aspekte zur Wohnumgebung im stationären Langzeitpflegebereich im Dokument «Innenarchitektur im Gesundheitswesen, insbesondere in der Pflege und für Menschen mit Demenz».

Signaletik

Die Signaletik befasst sich mit räumlichen Orientierungssystemen, d.h., sie ermöglicht Menschen, sich in komplexen Räumen zurechtzufinden, in denen das intuitiv nicht ohne Weiteres möglich ist. Darunter fallen grosse öffentliche Gebäude und Gebäudekomplexe, wie bspw. Flughäfen oder Bahnhöfe, aber auch Ortschaften, Stadtteile, ganze Städte oder grosse Firmengelände. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, möglichst viele Wegweiser aufzustellen, sondern um die richtige Platzierung aller für die Orientierung wichtigen Elemente. Ziel ist, an den richtigen Orten die notwendige, zielgruppengerechte Information bereitzustellen, also die Optimierung des Gesamtsystems. Ein junger Anwendungsbereich widmet sich der demenzgerechten Signaletik. Sie basiert auf Erkenntnissen der Gerontologie, Wahrnehmungsbiologie und der Wahrnehmungspsychologie. Sie berücksichtigt unter anderem die eingeschränkte Sehkraft im Alter, aber auch Theorien wie die Imagery Theory, welche besagt, dass Bilder fürs Gedächtnis besser einprägsam sind als Texte. So können z.B. biografische Bilder Menschen mit Demenz darin unterstützen, ihr eigenes Zimmer zu finden. Je weniger Verlass ist auf die kognitive Orientierungsfähigkeit, desto wichtiger werden Farben und Motive für die intuitive und emotionale Wegführung. Wissenschaftliche Forschungsprojekte dienen zur Überprüfung der Wirkung der verschiedenen optischen Leitsysteme auf das Orientierungsvermögen von demenzkranken Menschen in stationären Einrichtungen.

komform – ein fachspezifisches Unternehmen für Fragen der Signaletik im Alters- und Demenzbereich

Forschungsarbeiten

Bauliche Faktoren sind sehr entscheidend für das Wohlbefinden der Menschen mit einer Demenzkrankheit, da sie entweder eine fördernde oder hemmende Wirkung auf das räumliche Orientierungsvermögen haben. Zu diesem Ergebnis kommen verschiedene Forschungsarbeiten vor allem aus dem englischsprachigen Raum, die die Auswirkungen der räumlichen Umwelt auf das Befinden von Menschen mit Demenz analysieren. Allerdings gibt es zu diesen empirischen Belegen für die Effekte bestimmter Umweltmerkmale auf das Verhalten, das Befinden und die funktionalen Fähigkeiten von Menschen mit Demenz berechtigte Kritik bzw. deutliche Einschränkungen in Bezug auf die Aussagekraft dieser Ergebnisse. Viele der vorliegenden Studien weisen aus methodischer Sicht Defizite auf (kleine Fallzahlen, keine Kontrollgruppen, fehlende Hypothesenbildung usw.). Vor allem verursacht die Komplexität der verschiedenen, gleichzeitig einwirkenden Variablen grosse Schwierigkeiten, die Zusammenhänge im Einzelnen nachzuweisen. Darum gelingt es in den meisten Studien nicht, die genauen «Mechanismen» der Wirkungen der Umwelt zu beschreiben.​

Innenräume: Beispiele

Projektbeispiele für den Einsatz von Licht

Die age-Stiftung fördert gezielt Projekte, die sich um den optimalen Einsatz von künstlichem Licht in Wohnbauten für Menschen mit einer Demenzkrankheit bemühen.

Circadiane Beleuchtung – Beleuchtungssysteme im Vergleich; Institut Energie am Bau, FHNW, Muttenz

Das Institut Energie am Bau (FHNW) vergleicht im Universitären Zentrum für Altersmedizin und Rehabilitation im Felix Platter-Spital in Basel fünf Beleuchtungslösungen auf ihre lichttechnischen Eigenschaften hin. Untersucht werden u.a. die verschiedenen Wirkungen auf die Oberflächenfarben im Raum, die Blendwirkung auf Patientinnen, die Beleuchtungsstärken, der Energiebedarf, die Unterhalts- und Anschaffungskosten, der Einfluss der Installation und der Bedienung auf die Anwendungstauglichkeit. Die Ergebnisse der Studie sind an Lichtplaner, Hersteller von Leuchten, Bauträger und Betreiber gerichtet und werden in entsprechenden Fachblättern veröffentlicht.

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Beleuchtungskonzept Sonnweid AG, Wetzikon, Kanton Zürich

In der «Sonnweid das Heim» in Wetzikon wird im Rahmen eines Erweiterungsbaus ein neues Beleuchtungskonzept getestet, um neben der Beleuchtungsstärke auch den Einfluss des Lichts auf die innere biologische Uhr zu integrieren. Das neue Beleuchtungskonzept bezweckt, positive psychische und physiologische Wirkungen von Tages- und Kunstlicht bei Menschen mit Demenz zu optimieren. Das Projekt wurde unter der Leitung von Dr. Mirjam Münch (EPFL Lausanne) wissenschaftlich begleitet.

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Dynamische Dämmerungssimulatoren bei Menschen mit Demenz; Stiftung Hofmatt in Münchenstein bei Basel

Die Stiftung Hofmatt hat sich gleichzeitig mit dem Erweiterungsbau auch mit der künftigen Ausrichtung und den Herausforderungen der Zukunft auseinandergesetzt. Aus einem mittelgrossen Alters- und Pflegeheim soll nicht einfach ein grosses Heim mit 165 Betten und unveränderten Strukturen und Kompetenzen entstehen. Das jetzige Konzept «Kompetenzzentrum» enthält viele spezifisch aus- und weitergebildete Disziplinen: Pflegeheim, Arzt und Spitex sollen gemeinsame Strategien für die Versorgung der älteren Bevölkerung Münchensteins entwickeln. Innerhalb des stationären Angebotes entstehen differenzierte Wohnbereiche und ambulante Dienstleistungen im Sinne der Sozialraumorientierung. Im Zuge des Bauprojekts wurde ein umfassendes Lichtkonzept für alle Bereiche entwickelt. Während das Licht in gewissen Räumen Stimmungsbilder schaffen soll, wird es im Demenzbereich therapeutisch genutzt. Es wurden erstmalig Dämmerungssimulatoren bei Demenzpatienten getestet, welche die Morgen- und die Abenddämmerung simulieren. Dabei wurde evaluiert, ob diese Dämmerungssimulatoren einen Einfluss auf die Schlaftiefe und die Schlafqualität bei Bewohnerinnen mit mittlerer und schwerer Demenz haben. Ausserdem wurde untersucht, ob sich die Stimmung und die Wachheit tagsüber verändern. Die Studie zum Einsatz einer neu entwickelten, mobilen LED-Stehleuchte wurde von PD Dr. Mirjam Münch (Charité Universitätsmedizin, Berlin) und Prof. Dr. Anna Wirz-Justice (Zentrum für Chronobiologie der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel) geleitet.

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Biodynamisches Lichtkonzept im Pflegeheim Appenzell

Im Ersatzneubau des Pflegeheims Appenzell mit Bezugstermin vom Juni 2016 wurde biodynamisches Licht installiert, und zwar zum einen in der Pflegeoase, wo Bewohnerinnen mit sehr hohem Pflegebedarf und schwerwiegender Einschränkung der Kommunikationsmöglichkeiten betreut werden. Zudem soll das neue Lichtkonzept in den gemeinschaftlichen Aufenthaltsräumen das Wohlbefinden von Bewohnern und Personal erhöhen. Und schliesslich soll es auch im Stationsbüro umgesetzt werden, da laut Studien dadurch die Anfälligkeit für Medikationsfehler reduziert und die Konzentrationsfähigkeit im anstrengenden Arbeitsfeld der Pflege unterstützt wird. Die Praxiserfahrungen mit den biodynamischen LED-Lichtquellen werden gesammelt, ausgewertet und gesichert. Von den Resultaten können Planer anderer Projekte profitieren.

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Realisierte Beispiele in der Schweiz

Verschiedene Alters- und Pflegeinstitutionen und Institutionen für Menschen mit kognitiven Behinderungen haben auch in der Schweiz entweder durch einen Neubau oder durch Umbauten gezielte Wohnmöglichkeiten für Demenzwohngruppen realisiert. Nachfolgend wird eine zufällige Auswahl solcher Projekte genannt:

Sonnweid das Heim, Wetzikon
www.sonnweid.ch
Wohn- und Lebensraum für 167 Menschen. 14 Wohnformen und -gruppen (interne und externe Wohngruppen; betreute Kleingruppen; Pflegeoasen für Menschen mit schwerer Demenz). Tag/Nacht-Station (Kurz- und Entlastungsaufenthalte; 10 Betten)

Dandelion – Pflegezentrum für demenzkranke Menschen, Basel
www.dandelion-basel.ch
Wohnheim für 60 Bewohnerinnen und Bewohner in 7 Wohngruppen. Tagesbetreuung für 12 Gäste

Regionales Alterszentrum Tannzapfenland, Münchwilen
www.tannzapfenland.ch
Wohngruppe für 24 Daueraufenthalte und einen Kurzaufenthalt auf zwei Stockwerken

Domicil Kompetenzzentrum Demenz, Bethlehemacker, Bern
www.bethlehemacker.domicilbern.ch
73 Betreuungs- und Pflegeplätze in verschiedenen Wohngruppen

Haus im Sattelbogen – wohnen – pflegen – betreuen, Bischofszell
www.sattelbogen.ch
Eigenes Gebäude auf zwei Etagen, intern frei zugänglich, für 25 Bewohnende mit einer Demenzdiagnose

Marthastift, Basel
www.marthastift.ch
Mehrere Wohngruppen mit 10–11 Einzelzimmern, total für 101 Bewohnerinnen und Bewohner

Brühlgut Stiftung
www.brühlgut.ch
Begleitet und fördert Menschen mit Beeinträchtigung und bietet ihnen in Winterthur Wohn-, Arbeits-, Beschäftigungs- und Ausbildungsplätze

Stiftung Arkadis
www.arkadis.ch
Die Stiftung Arkadis führt eine Wohngruppe für Menschen die kognitiv behindert sind und an einer Demenz erkrankt sind. Dazu hat sie eine eigenes Konzept erstellt. Die Stiftung ist der Meinung, dass auch diese Menschen ein
Teil unserer Gesellschaft sind und somit dazu gehören.

Bauliche Beispiele in der Literatur

In verschiedenen Publikationen finden sich auch Abbildungen und Fotografien, die die baulichen Massnahmen optisch wiedergeben. Zur Auswahl seien hier ein paar dieser Publikationen aufgeführt und kommentiert:

 

Feddersen, E., Lüdtke, I. (Hg.). (2014). Raumverloren. Basel.

Das Buch enthält grundsätzliche Reflexionen über die Bedeutung des Raums und die Möglichkeit der Architektur, über Proportion, Material, Licht, Farbe und Akustik Sicherheit und Geborgenheit und elementare sinnliche Erfahrungen zu vermitteln. Daneben werden verschiedene realisierte Bauten im Alters- und Demenzbereich mit Bild und Text dokumentiert, unter anderem auch das Dorf für Menschen mit Demenz in De Hogeweyk in den Niederlanden.

 

Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherheit (Hg.). (2004). Planungshilfe. Verbesserung der Wohnatmosphäre im Heim unter besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse von Menschen mit Demenz. Köln.

Die kleine Publikation gibt Anregungen und Hilfestellungen, um mit kleinen Veränderungen des Wohnumfeldes die Wohn- und Lebensqualität der Bewohnerinnen zu erhöhen. Zudem werden mögliche Massnahmen anhand von drei ausgewählten Pflegeeinrichtungen in Brandenburg ausführlich präsentiert.

 

Heeg, S., Bäuerle, K. (2006). Demenzwohngruppen und bauliches Milieu. Beispiele für Umbau und Innenraumgestaltung. Stuttgart.

In dieser Publikation werden bauliche und gestalterische Anforderungen an eine Demenzwohngruppe erklärt. Zudem wird der Neubau des Gradmann Hauses in Stuttgart-Kaltental präsentiert, der als idealtypische Umsetzung des aktuellen Wissensstandes zum Thema Bau und Milieugestaltung gilt. Anschliessend werden fünf Umbaubeispiele mit umfangreichem Bild- und Planmaterial dargestellt und dabei insbesondere die Nutzungserfahrungen ca. zwei Jahre nach Abschluss der Umbaumassnahmen dokumentiert.

 

Radzey, B. S. (2014). Lebenswelt Pflegeheim. Eine nutzerorientierte Bewertung von Pflegeheimbauten für Menschen mit Demenz. Frankfurt am Main.

Die vorliegende Arbeit untersucht, wie sich die räumlichen Anforderungen im Wohn- und Versorgungsalltag bewähren und welche Gestaltungskriterien aus der Perspektive der unterschiedlichen Nutzergruppen besonders bedeutsam sind, um für die dort lebenden Menschen einen qualitätsvollen Wohn- und Lebensraum zu schaffen. In drei beispielgebenden Einrichtungen wurde dabei eine systematische, fallbezogene Analyse und Bewertung des Gebäudes und seiner Leistungsfähigkeit aus der Perspektive der dort lebenden und arbeitenden Menschen durchgeführt.

Innenräume: Konkrete Gestaltungsvorschläge

Verschiedene Autoren machen in ihren Publikationen konkrete Gestaltungsvorschläge für ein angemessenes Wohnumfeld für Menschen mit Demenz. Hier werden vier Dokumente ausgewählt, die für Schweizer Verhältnisse sinnvolle, praxisbezogene Anregungen machen. Die Quellen sind bei den Vorschlägen abgekürzt wiedergegeben. Die vier Quellen decken sich in ihren Vorschlägen nicht in allen Punkten. Sie spiegeln verschiedene Expertenmeinungen. Allgemein gültige, in jeder Beziehung evidenzbasierte Vorschläge und Lösung gibt es nicht.

Aussenräume: Grundlagen, Konzepte, Ansätze

Konzeptansätze

In der Literatur (Föhn/Dietrich, Garten 2013, und Heeg/Bäuerle Freiräume 2011) lassen sich drei spezifische Konzepte für die demenzorientierte räumliche Gestaltung von Gärten unterscheiden. Zu allen drei Konzepten lassen sich ergänzende, aber auch relativierende Erfahrungen und Erkenntnisse finden. Für eine langfristige Entwicklung einer Anlage ist deshalb eine nicht allzu spezifische Grundstruktur sinnvoll, die durch temporäre Elemente ergänzt werden kann:

  1. Konzepte für eine erleichterte Orientierung
    Dazu gehören neun verschiedene Kategorien: Wege, Plätze, Orientierungspunkte, Knotenpunkte, Ränder, Aussichten, Ausstattungen, Bepflanzung, Wegweiser.
    Diese Orientierungshilfen dienen vor allem der Gruppe von Bewohnerinnen mit einem gesteigerten Antrieb, die alleine wandern.
     
  2. Erinnerung
    Im Garten kulturelle und biografische Bezüge herstellen: Gemäss diesem Ansatz wird versucht, auch räumlich spezifische Erinnerungsangebote zu verschiedenen Lebensphasen zu schaffen. Besonders dazu geeignet sind konkrete Gegenstände, die biografische Bezüge schaffen. Allerdings dürfte es nicht einfach sein, angesichts der heterogenen Zusammensetzung der Bewohner verallgemeinerbare Gestaltungselemente zu finden, die sich auch für eine längerfristige Gartengestaltung eignen. Einfacher und zugänglicher sind biografische Bezüge, die sich aus den Gestaltungselementen des Gartens selbst ergeben (Bäume, Pflanzen, Wasseranlage o.ä.). 
     
  3. Sinnesgärten
    Ein zentrales Ziel in der therapeutischen Arbeit ist die möglichst lange Erhaltung der Sinnesfunktionen. Dazu kann der Garten grundsätzlich als sinnlich erfahrbarer Raum mit verdichteten Angeboten für den Geschmack-, Geruchs- und Tastsinn sowie für das Sehen und Hören (Vögel, Tiere) angelegt werden. Um diese Möglichkeiten auch gezielt biografisch zu nutzen, sind Anregungen durch Begleitpersonen sinnvoll und wichtig.

Therapiegarten

Schneiter-Ullmann (Lehrbuch, 2010) zeigt auf, dass die ungefähr 200 Jahre alten Wurzeln therapeutischer Aktivitäten mit Pflanzen in der Psychiatrie liegen. Vor ungefähr vier Jahrzehnten hat sich die Gartentherapie als sogenannte horticultural therapy vorwiegend in England und den USA etabliert. Seit einigen Jahren wird sie vereinzelt auch in Kontinentaleuropa, vor allem in den nordischen und deutschsprachigen Teilen praktiziert.

Da Gartentherapie die engen Verbindungen zwischen Menschen und Pflanzen anspricht und gezielt nutzt, ist es nicht erstaunlich, dass ihre Anwendungsbereiche sehr breit sind. Zu den wichtigsten Anwendungsgebieten gartentherapeutischer Aktivitäten zählen die Rehabilitation psychisch Kranker, die Gerontologie, Agogik und vereinzelt auch die Psychiatrie.

Pflanzenauswahl

Die richtige Pflanzenauswahl kann sich – wie Föhn und Schneiter (Pflanzenauswahl 2013) in einer ausführlichen Dokumentation aufzeigen – an sehr verschiedenen Kategorien und Kriterien orientieren: Duftpflanzen, Nutzpflanzen, Pflanzen für die zeitliche Orientierung, Pflanzen für die räumliche Orientierung, Biografiepflanzen, Pflanzen für die taktil-haptische Wahrnehmung, Pflanzen für die gustatorische Wahrnehmung, Pflanzen für die visuelle Wahrnehmung und Pflanzen für die auditive Wahrnehmung. Zusammenfassend schreiben die Autorinnen:

Die Verwendung von Pflanzen nimmt in einem Garten für Menschen mit Demenz einen hohen Stellenwert ein. Pflanzen spielen einerseits eine grosse Rolle in der Gestaltung des Aussenraumes, andererseits können sie auch in der Gartentherapie verwendet werden. Pflanzen kommen aufgrund verschiedener Funktionen zum Einsatz. Sehr wichtig sind Sinnespflanzen, insbesondere Duft- und Tastpflanzen. Aber auch Pflanzen, die den Geschmackssinn bzw. das Gehör stimulieren, sind von Bedeutung. Mit Farben und Formen wird der visuelle Sinn angesprochen. Um die räumliche Orientierung für Personen mit schwach ausgeprägter Demenz im Garten zu erleichtern, können u.a. Pflanzen mit besonderen Wuchseigenschaften oder sonstigen speziellen Merkmalen, wie z.B. Duft, verwendet werden. Pflanzen, die bestimmte Jahreszeiten symbolisieren, werden als Hilfsmittel für die zeitliche Orientierung verwendet. Pflanzen wie Blumen, Kräuter, Gemüse etc. können in Bezug zu individuellen biografischen Erlebnissen von einzelnen Personen stehen. Diese Pflanzen werden bei Menschen mit Demenz insbesondere im Rahmen gartentherapeutischer Interventionen eingesetzt. Sie erinnern an positive Ereignisse früher Lebensjahre der Patientinnen und bieten sich als hervorragendes Kommunikationsmittel an. Die Auswahl und die Verwendung von Pflanzen sollte stets nach ökologischen, ökonomischen und gärtnerischen Kriterien erfolgen. So gewährleistet eine standortgerechte Pflanzenauswahl und - verwendung eine langlebige Bepflanzung im Garten. Pflanzen, die für Personen mit Demenz ein Risiko darstellen, sind zu vermeiden. Solche Risikopflanzen sind u.a. hautreizende und phototoxische Pflanzen. Da Bewohnerinnen Dinge in den Mund stecken, dürfen Giftpflanzen in einem Garten für Menschen mit Demenz nicht gepflanzt werden. Pflanzen sind somit ein bedeutsamer Bestandteil in einem Garten für Menschen mit Demenz.

Anstösse zur verstärkten Nutzung des Potenzials der Gartentherapie in der stationären Altersarbeit vermittelt das Projekt «Therapeutische Gärten für Alterszentren-Ansätze zur Gestaltung und Nutzung von geriatrischen Aussenräumen». Das KTI-Projekt der drei Fachhochschulen HSR Hochschule für Technik Rapperswil, Fachhochschule Zürich für Soziale Arbeit und Hochschule Wädenswil wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Alterszentrum Gibeleich, Opfikon ZH, durchgeführt.

Ergebnisse des Projekts

Schweizerische Gesellschaft Gartentherapie sggt:
www.gartentherapie.ch

Internationale Gesellschaft GartenTherapie e.V.:
www.iggt.eu

Forschungsprojekt Aussenraumgestaltung und Gartentherapie

Das Projekt der ZHAW bestand darin, bestehende Gärten einer Nutzungs- und Gestaltungsanalyse zu unterziehen und anhand vorhandener Forschungsergebnisse allgemeingültige Richtlinien für solche Anlagen abzuleiten. Zudem entstand eine Planungshilfe mit Kriterien zu standardisierten Gartentherapieprogrammen und optimaler Gartengestaltung. Den Institutionen, die ein solches Vorhaben planen, dient die methodische Hilfestellung zum systematischen Sammeln von eigenen Daten zum Nutzungsverhalten von dementen Gartenbenutzern. Die Ergebnisse dieses Forschungsprojekts wurden in einer Publikation von Föhn und Dietrich (Garten 2013) der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Aussenräume: Konkrete Gestaltungsvorschläge

Verschiedene Autoren machen in ihren Publikationen konkrete Gestaltungsvorschläge für Aussenräume und Gärten, die den Bedürfnissen von Menschen mit Demenz entsprechen. Nachfolgend sind vier Dokumente ausgewählt, die für Schweizer Verhältnisse praxisbezogene Anregungen machen. Die Quellen sind bei den Vorschlägen abgekürzt wiedergegeben. Die vier Quellen decken sich nicht in allen Punkten und/oder können sich zum Teil wiedersprechen. Sie spiegeln verschiedene Expertenmeinungen. Allgemein gültige, in jeder Beziehung evidenzbasierte Vorschläge und Lösungen gibt es nicht.

Quellen
Föhn, M., Dietrich, C. (Hg.). (2013). Garten und Demenz, Gestaltung und Nutzung von Aussenanlagen für Menschen mit Demenz. Bern, S. 51ff. Im Folgenden angegeben als «Föhn/Dietrich». Auch Checkliste beachten (ab S. 125).
Kanton Bern & Stadt Bern (Hg.). (2009). Gestaltung von Aussenräumen für Demenzkranke. Empfehlungen für Institutionen und Baufachleute. Zugriff am 11.01.2018. Im Folgenden angegeben als «ABA Bern».
Heeg, S., Bäuerle, K. (2011). Freiräume – Gärten für Menschen mit Demenz (3. Aufl.). Stuttgart. Im Folgenden angegeben als «Heeg/Bäuerle».
Welter, R., Hürlimann, M., Hürlimann-Sibke, K. (2006). Gestaltung von Betreuungseinrichtungen für Menschen mit Demenzerkrankungen. Zürich. Bezugsquelle: arbeitsbuch@altervia.ch

Aussenräume: Beispiele

Die age-Stiftung fördert gezielt Projekte, die sich um eine demenz- und behindertengerechte Aussenanlage bemühen.

Geschützter Spaziergarten für Demenzkranke / Zentrum Reusspark Niederwil 2005

Als grösstes Krankenheim im Kanton Aargau gilt der Reusspark als überregionales, geriatrisches Kompetenzzentrum. Seit mehr als 20 Jahren werden desorientierte Menschen betreut und gepflegt. Die Planung des geschützten Spaziergartens erfolgte in einer Projektgruppe, zu der neben Gartenspezialisten auch Fachleute aus der Pflege und der Betreuung dementer und desorientierter Menschen gehören.

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Neugestaltung der Aussenanlagen, Alterszentrum Eiche, Dagmersellen 2014

Das Alterszentrum verfügt über grosszügige Aussenbereiche und Gartenanlagen. Dieses Potenzial wird einladend und vielfältig ausgestattet. Die Treppen werden so gebaut, dass Physiotherapie auch im Freien möglich wird. Begrenzungen werden nicht durch Zäune geschaffen, sondern durch natürliche Hindernisse oder mit unsichtbaren, elektronischen Hilfsmitteln. In der Planung der Anlagen wurde zudem auf gestalterische Flexibilität geachtet, damit diese optimiert oder ergänzt werden können, sobald neue Erkenntnisse oder Bedürfnisse dies erfordern. Ein wichtiger Teil des Gestaltungsplans ist das massgeschneiderte Sicherheitskonzept.

Durch den Einbezug von Personal und Fachexperten in der Planungs- und der Realisierungsphase sind inspirierende und kreative Lösungen entstanden. Die Umsetzung erfolgt in vier Etappen. Die letzte wurde 2016 abgeschlossen.

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Alterswohnheim Enge – Natur erleben im Dachgarten, Zürich

Das Alterswohnheim Enge liegt mitten in der Stadt Zürich. Mit seinem neuen Dachgarten hat es einen speziell auf Menschen mit Demenz zugeschnittenen sicheren Naturraum für den Aufenthalt und die Betätigung im Freien geschaffen. Der Garten ist als geschützter kleiner Park konzipiert: ein geschickt geführter Weg lädt ein zum begleiteten Spazieren, die Rosenlaube mit ihren Sitzbänken zum Verweilen und im Zentrum des Dachgartens ein «Marktplatz» zum gemeinsamen Kaffee und Zvieri. Duftende Blumen und Kräuterbeete, gemütliche Nischen für einen Rückzug machen den Dachgarten zu einem Ort, an dem sich die Bewohnerinnen gerne aufhalten und sich wohlfühlen, der ihre Sinne anregt, Erinnerungen und Gefühle weckt. Unter Anleitung können die Bewohnerinnen auch einfache Gartenarbeiten wie Kräuter pflanzen oder Blumen pflücken verrichten.

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Bedürfnisgerechtes Wohnen für Menschen mit Trisomie 21 und Demenz, Brühlgut Stiftung für Behinderte, Winterthur

Die Brühlgut Stiftung begleitet und fördert erwachsene Menschen mit Beeinträchtigung und bietet ihnen in Winterthur Wohn-, Arbeits-, Beschäftigungs- und Ausbildungsplätze an.

An ihrem Standort in Wyden wurde der Aussenbereich zweier Wohngruppen an die Bedürfnisse von behinderten Bewohnern mit Demenz angepasst. Zwei Jahre nach der Fertigstellung wurde im Rahmen des Schlussberichtes eine Evaluation des Gesamtprojekts (Gartenkonzept, Gartenunterhalt, Gartennutzung) vorgenommen.

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