BRANCHEN UND KANTONE | Pragmatisch und im Dialog unterwegs

18.09.2025 Von Salomé Zimmermann

Zum neuen Kantonalverband «ARTISET Appenzellerland» gehören sehr unterschiedliche Institutionen mit verschiedenen Bedürfnissen. Ausserdem sind keine grossen finanziellen Mittel vorhanden. Der Präsident und zwei Vorstandsmitglieder schildern, wie sie dank engem Austausch mit den Behörden die Anliegen der drei Branchenverbände trotzdem vorantreiben können.

Zu ARTISET Appenzellerland gehören 43 Institutionen aus dem Alters-, Behinderten- sowie Kinder- und Jugend-Bereich in Appenzell Ausserrhoden und Innerrhoden. Es ist ein noch junger Verband, der 2024 gegründet wurde. Vorher gab es bereits die Verbände INSOS Appenzell Ausser­rhoden und CURAVIVA Appenzellerland, die sich nach der Gründung von ARTISET auf nationaler Ebene zur Fusion entschlossen. «Wir konnten die Kräfte bündeln und die Themen sortieren», sagt Jakob Egli, Präsident des Verbands. «Nach wie vor gibt es jedoch viele Themen, die in den jeweiligen Branchenräten diskutiert werden, denn alle drei Branchen haben eine eigene Logik», so Egli. Er leitet die «Pflege Reute», eine Altersinstitution, gehört jedoch als Präsident keinem Branchenrat an, um die Neutralität zu wahren. Zum Gespräch in St. Gallen haben sich auch Marcel Fritsch, der CURAVIVA vertritt und Geschäftsleiter der «Stiftung Leben im Alter» in Herisau ist, sowie Reto Garbini, der INSOS vertritt und Institutionsleiter der «Stiftung Columban» in Urnäsch ist, eingefunden. Die Mitglieder von ARTISET Appenzellerland sind sehr divers, sie unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht, etwa von der Grösse der Institutionen oder von den unterschiedlichen Ausrichtungen und Kulturen her – deshalb war es dem Präsidenten ein Anliegen, dass auch zwei seiner ARTISET-Vorstandskollegen am Gespräch teilnehmen.

Schlanke Verbandsstrukturen

«ARTISET Appenzellerland ist ein sehr schlanker Verband, mit einem niedrigprozentigen Sekretariat, flachen Hierarchien und keinen grossen Geldmitteln. So stehen uns nicht die gleichen Möglichkeiten wie in anderen Kantonen offen, aber es sind auch nicht die gleichen Erwartungen vorhanden», sagt Jakob Egli. Die Struktur des Verbands widerspiegle die Bedürfnisse der Mitglieder, deren Erwartungen vor der Fusion in einer Umfrage erhoben wurden. Innerhalb der Branchenräte kümmern sich Arbeitsgruppen um verschiedene Themen, welche die Mitglieder beschäftigen. «Kürzlich erliess der Kanton Appenzell Ausserrhoden etwa die Vorgabe, dass Behinderteninstitutionen eine niedrigschwellige Meldestelle gegen Gewalt anbieten müssen», so Reto Garbini. Ein solches Thema wird dann im jeweiligen Branchenrat diskutiert, die beiden anderen Verbände erhalten die Informationen anschliessend via den Vorstand, sodass alle Mitglieder auf dem neusten Stand sind. Es gäbe auch die Möglichkeit einer interdisziplinären Arbeitsgruppe, aber so weit sei ARTISET Appenzellerland nach einjährigem Bestehen noch nicht.

Partizipation und Pragmatismus

Die beiden Appenzeller Kantone gelten als Kantone, die ihren Institutionen gewisse Freiheiten lassen. Wie sehen die drei ARTISET-Vorstandsmitglieder und Heimleiter dies? «Appenzell hat nicht weniger Vorschriften als andere Kantone, wir haben ungefähr die gleichen Vorgaben zu erfüllen – aber die Art und Weise der Regulation unterscheidet sich», führt Marcel Fritsch aus. Er sagt, dass sowohl die Appenzeller Institutionen wie auch die Behörden mit viel Pragmatismus an die Geschäfte herangehen und einen engen Dialog pflegen. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass sich die verantwortlichen Personen auf beiden Seiten kennen und so gemeinsam schnelle und direkte Lösungen finden. Jakob Egli erwähnt als Beispiel für die unkomplizierte und partnerschaftliche Zusammenarbeit die Corona-Zeit, als mit wenig finanzieller Unterstützung, aber mit direktem Draht zu den Behörden gute Lösungen in der Umsetzung der Corona-Massnahmen gefunden werden konnten.

«Uns stehen nicht die gleichen Möglichkeiten wie in anderen Kantonen offen, aber es sind auch nicht die gleichen Erwartungen vorhanden.» Jakob Egli, Präsident ARTISET Appenzellerland

Marcel Fritsch merkt an, dass Pragmatismus und Dialog nicht nur die soziale Branche betreffen, sondern in Appenzell generell verbreitet seien. Sowohl Marcel Fritsch wie Reto Garbini haben in früheren Tätigkeiten im Kanton Zürich gearbeitet und schätzen den Gestaltungsspielraum, den ein kleinerer Kanton bieten kann. «Wenn ich eine inhaltliche Frage habe, dann erhalte ich normalerweise innerhalb von zwei Stunden eine kompetente Antwort», bemerkt Reto Garbini, «das erleichtert unsere Arbeit sehr.» Er und seine Kollegen schätzen auch, dass die Behörden bei neuen Bestimmungen den ARTISET-Vorstand und andere Beteiligte um ihre Meinung fragen und der eine oder andere Aspekt in den Entscheiden der Ämter Widerhall findet – also eine echte Partizipation stattfindet.

Regulierung und Finanzen

«Ich befürworte es, dass es nicht zu viel Steuerung durch die Appenzeller Kantone gibt – der Preis, den wir dafür bezahlen, ist weniger Geld, wir haben recht tiefe Höchstansätze im Altersbereich», sagt Jakob Egli. Marcel Fritsch findet es schwierig, diesen Zusammenhang zwischen Regulierung und Geld herzustellen. «Es braucht so viel Regelungen, wie nötig sind, damit der Kanton den Einsatz der Gelder kon­trollieren kann und die Qualität stimmt. Aber da besteht meiner Meinung nach kein Zusammenhang mit der Höhe der Entschädigung. Eine Leistung muss fair entschädigt werden, und der Kanton muss so beaufsichtigen, dass die Leistung korrekt erbracht wird», führt er aus. Er weist darauf hin, dass es zu immer mehr Regelungen komme, die immer schwieriger umzusetzen seien, wenn die Annahme gelte, dass mehr Geld mehr Regulierung bedeutet. Er plädiert deshalb dafür, den Output in den Fokus zu rücken, also die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner, und den Input, also die «Herstellung» dieser Lebensqualität, möglichst wenig zu regulieren.

«Appenzell hat nicht weniger Vorschriften als andere Kantone, aber die Art und Weise der Regulation unterscheidet sich.» Marcel Fritsch, Vorstandsmitglied ARTISET Appenzellerland

Wie steht es um die Fachkräfte im Appenzellerland? «Wir haben eine sehr lange Tradition als Gesundheitskanton», sagt Jakob Egli. Der Dienstleistungssektor sei stark entwickelt, da es wenig Industrie gebe. Insofern ist der Mangel an Fachkräften weniger ausgeprägt als in anderen Teilen der Schweiz. «Zudem haben wir den Ausbildungsverbund Pflege gegründet, der Studienplätze der Ausbildung zur diplomierten Pflegefachperson fördert und sicherstellt», sagt Jakob Egli, «das ist bereits vor der Pflegeinitiative geschehen.» Marcel Fritsch bemerkt, dass der Personalmarkt die grösseren Institutionen durchaus beschäftigt, nicht nur im Bereich des Pflegepersonals, sondern auch im Bereich der Hotellerie und Gastronomie.

Herausforderungen und Herangehensweisen

Derzeit setzt sich ARTISET Appenzellerland mit grossen Projekten wie der Umsetzung der Pflegeinitiative auseinander – da sind alle Institutionen gefordert und der Verband muss einen Konsens finden. «Wir überlegen uns immer genau, was wir mit unseren beschränkten Ressourcen im Kanton tatsächlich leisten können», sagt Marcel Fritsch. «Um so pragmatisch zu funktionieren, wie wir wollen und müssen, braucht es viel Filtern, wir schauen uns genau an, welche Themen wir aktiv angehen und welche wir an uns vorbeiziehen lassen», fügt Jakob Egli hinzu. Reto Garbini verortet aktuelle Herausforderungen im Behindertenbereich rund um die Selbstbestimmung der Menschen mit Einschränkungen. «Mehr Autonomie ist auch mit mehr Risiken verbunden, da gilt es, dieses Verhältnis neu auszuloten und auszuhandeln», sagt er. Den Menschen mit Behinderungen mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen, ist aus Garbinis Sicht primär eine Haltungsfrage. Er trifft im Berufsfeld zu seinem Bedauern noch oft Vermeidungsstrategien an, indem mehr Selbstbestimmung mit zusätzlichen finanziellen Mitteln verknüpft wird.

Jakob Egli beschreibt das Vorgehen von ARTISET Appenzellerland folgendermassen: «Wenn ein Mitglied ein Problem oder eine Fragestellung hat, dann nehmen wir das auf und schauen, wie wir unterstützen und koordinieren können. Wir gehen also punktuell vor, und wenn die gefundene Lösung passt, dann sorgen wir dafür, dass die anderen Mitglieder auch davon erfahren und sie gegebenenfalls in der eigenen Institution anwenden können.»


Foto: Pflege Reute