«Pflegende Angehörige sind ein Teil der Lösung, nicht das Problem»

31.10.2025 Elisabeth Seifert

Die Anstellung pflegender Angehöriger gerät unter Druck. Vor allem deshalb, weil einige Akteure ein lukratives Geschäftsmodell daraus machen. Kaspar Küng, promovierter Pflegewissenschaftler und Gründer einer privaten Spitex-Organisation, die pflegende Angehörige anstellt, fordert Qualitätsstandards in der Begleitung von Angehörigen – und zeigt konkret auf, wie seine Organisation diese unterstützt

In der ambulanten Pflege und Betreuung gerade von Menschen im Alter, aber auch von chronisch kranken Personen aller Altersgruppen, haben Angehörige eine eminent wichtige Bedeutung. Das zeigen bereits einige wenige Zahlen: Rund 600000 Angehörige, vor allem Töchter, Söhne, Partner oder Eltern, kümmern sich hierzulande um die Bedürfnisse ihrer Liebsten und das oft über viele Stunden pro Tag. Gemäss offiziellen Zahlen des Bundes entspricht ihre unbezahlte Care-Arbeit einem Wert von über 3 Milliarden Franken.

Ein Bundesgerichtsentscheid aus dem Jahr 2019 bildete – und bildet immer noch – einen wichtigen Meilenstein, um die Arbeit all dieser Menschen sichtbar zu machen.  Obwohl grundsätzlich schon zu Beginn der 00er-Jahre möglich, machte der Entscheid deutlich, dass pflegende Angehörige im Rahmen der Grundpflege unter gewissen Voraussetzungen eine Entschädigung erhalten können. In verschiedenen Strategiepapieren unterstrich der Bundesrat seither, wie wichtig pflegende Angehörige in einer älter werdenden Gesellschaft sind.

Die Kantone müssen genauer hinschauen

In den letzten Jahren sind viele neue Akteure auf den Markt gekommen, die sich auf die Anstellung von pflegenden Angehörigen spezialisieren. Vonseiten der Politik und der Öffentlichkeit werden derzeit Stimmen laut, die Kritik daran üben, dass etliche dieser privaten Spitex-Organisationen aus der Anstellung von Angehörigen ein lukratives Geschäftsmodell machen, mit dem sich ansehnliche Gewinne erzielen lassen.

«Vor allem in der öffentlichen Meinung hat die Stimmung gekehrt», beobachtet auch Kaspar Küng. Der promovierte Pflegewissenschaftler hat 2019 K Care gegründet, das «Kompetenzzentrum für pflegende Angehörige». «Wir gehörten damals zu den ersten Organisationen», betont Küng – und bedauert den Stimmungsumschwung: «Pflegende Angehörige sind ein Teil der Lösung, nicht das Problem». Er kann die Kritik aber auch verstehen. Gefordert seien besonders die Zulassungsbehörden, also die Kantone. Diese müssten hinschauen und die Qualität der Akteure prüfen. Küng: «Es braucht Qualitätsstandards, ganz besonders für die Begleitung der pflegenden Angehörigen.» Das ausschliesslich im Kanton Bern tätige Unternehmen K Care, ist im Sommer 2025 sehr erfolgreich von den Behörden auditiert worden.

K Care will «Brücken bilden» von «Betroffenen für Betroffene», heisst es auf der Website der privaten Spitex-Organisation. Als Kompetenzzentrum für pflegende Angehörige im Kanton Bern bietet K Care die Möglichkeit zur Anstellung sowie fachliche Begleitung, individuelle Schulung und unabhängige Pflegegutachten. Das Kernteam besteht aus Fachpersonen, die wie Kaspar Küng selbst pflegende Angehörige sind oder waren. Bei den insgesamt zehn Mitarbeitenden handelt es sich allesamt um qualifizierte Fachpersonen auf Bachelor-, Master- oder sogar Doktorats-Stufe. Sie begleiten pflegende Angehörige evaluieren den Pflegebedarf und sorgen für die notwendige Qualitätssicherung.

Es braucht fachliche und emotionale Unterstützung

Kaspar Küng pflegt und betreut seit 27 Jahren ein schwer chronisch krankes Familienmitglied. Er stand damals gerade im zweiten Ausbildungsjahr zur Pflegefachperson. Das Thema Pflege und Betreuung beschäftigt ihn damit beruflich wie privat von Beginn seines Erwachsenenlebens an. Die eigene Betroffenheit und die daraus resultierende Empathie sowie das fachliche Knowhow sind gemäss Küng denn auch die zentralen Elemente des Selbstverständnisses von K Care.

Sein über die Jahre gewachsenes fachliches Verständnis ist eine ideale Voraussetzung für die parallele Herausforderung als pflegender Angehöriger. Küng: «Ich stellte mir immer wieder die Frage, wie machen das Menschen, die keine entsprechende Ausbildung und Erfahrung haben?» Auch wenn seit einigen Jahren die Bedeutung pflegender Angehöriger durch die Möglichkeit einer Entschädigung besser anerkannt werde, habe sich, so Küng, auf struktureller Ebene noch zu wenig verbessert.

Er spricht damit insbesondere auf die fachliche Begleitung und Beratung an. «Die Unterstützung ist fragmentiert», beobachtet der Experte. Pflegende Angehörige würden immer noch zu wenig als zentraler Teil der professionellen Pflege miteinbezogen. «Äusserst wichtig sind strukturierte Anleitungen und individuelle, auf die persönliche Pflegesituation im häuslichen Setting bezogene, Weiterbildungen.» Zusätzlich zur fachlichen Begleitung ist für Küng auch die emotionale Unterstützung von grosser Bedeutung. «Viele pflegende Angehörige sind an der Grenze ihrer Belastbarkeit und stehen oft allein da.» Mit K Care wollen er und sein Team diese Lücke schliessen.

Mehrmals pro Monat von einer Fachperson begleitet

Wie andere private Spitex-Organisationen stellt auch K Care pflegende Angehörige an. Küng: «Diese Menschen decken mit ihrer Care-Arbeit 24 Stunden ab, da scheint es nur mehr als gerecht, dass sie für die im Rahmen der Grundpflege erbrachten Leistungen entlöhnt werden.» Eine Pflegexpertin oder ein Pflegeexperte auf Masterstufe erhebt den von der Versicherung vergüteten Pflegebedarf. Pro Klient oder Klientin liege dieser, so Küng, im Durchschnitt bei täglich eineinhalb bis zwei Stunden, der Rest bleibe oft unbezahlte Betreuungsarbeit. Pro Pflegestunde zahlt    K Care den Angehörigen 37.5 Franken und orientiert sich damit an den Löhnen für IV-Assistenzleistungen. In der Branche üblich sind derzeit zwischen 32 und 42 Franken. «Löhne unter 30 Franken sind für uns ein No-Go».

Die Zahl der angestellten Angehörigen liegt bei K Care derzeit in einem mittleren zweistelligen Bereich. Sie sind zwischen 45 und 75 Jahre alt, stehen also entweder im Erwerbsleben oder sind Rentnerinnen und Rentner. Von besonders grosser Bedeutung sei die Entlöhnung für jene, die für die Pflege ihr Arbeitspensum reduzieren, so Küng. «Unser Gleichstellungsprinzip schliesst aber auch Menschen im Rentenalter ein, alle sollen eine gute Beratung und Begleitung erhalten.»

Und das funktioniert so: Der erste Kontakt erfolgt in der Regel am Telefon, wo ein erstes Assessment durchgeführt wird. Danach gibt es eine Abklärung vor Ort. «Neben der Pflegebedarfserhebung analysieren wir das ganze Setting.» Dazu gehört, ob die Pflege für die Angehörigen wirklich realistisch ist und sie die Begleitung durch die Experten von K Care auch tatsächlich wollen. Über mehrere Wochen hinweg werden sie durch die Fachpersonen dann bis zu viermal im Monat vor Ort unterstützt, im weiteren - je nach Verlauf - dann ein- bis zweimal monatlich. «Es handelt sich dabei um Beratungs- und Fachgespräche sowie Anleitungen und Schulungen während der Pflege.»

«Wir delegieren die gesetzlich vorgeschrieben Weiterbildung der Angehörigen nicht an einen externen Kursanbieter, sondern machen diese selbst, da mehrere Mitarbeitende auch eine Bildungsexpertise haben», unterstreicht Küng. Diese ermögliche eine an die spezifischen Bedürfnisse vor Ort angepasste Schulung. Die Begleitung und Weiterbildung erfolgen für die Angehörigen zudem gratis.

K Care erhält für die Anstellung der Angehörigen sowie für die erbrachten Leistungen die im Kanton Bern vorgesehenen Abgeltungen. «Unsere Einnahmen investieren wir in die Qualitätssicherung, Weiterbildung sowie Weiterentwicklung unserer Angebote», betont Küng. Damit positioniert sich K Care bewusst gegen die Idee, die Anstellung pflegender Angehöriger als lukratives Geschäftsmodell zu nutzen. Die Einnahmen dienen dem Aufbau eines verantwortungsvollen und nachhaltigen Modells, das pflegende Angehörige professionell begleitet, entlastet sowie individuell und nachhaltig stärkt.

Pflege zu Hause wird immer anspruchsvoller

Gerade in der häuslichen Pflege brauche es zunehmend eigentliche Expertinnen und Experten, ist Kaspar Küng überzeugt. Sei dies in der Begleitung pflegender Angehöriger oder in der durch Fachpersonen erbrachten Pflege. Und zwar deshalb, weil die Aufenthalte in einem Spital immer kürzer werden, was zu Hause dann eine entsprechend komplexe Pflege nötig macht, für die es ein hohes klinisches Wissen und entsprechende Erfahrung braucht.

Auch wenn die gut ausgebildeten Expertinnen und Expertinnen von K Care derzeit vor allem pflegende Angehörige begleiten, übernehmen sie bei Bedarf die über die Grundpflege hinausgehende – und ausschliesslich von Profis auszuführende – Behandlungspflege. Aufgrund der älter werdenden Gesellschaft und immer komplexer werdender Pflegesituationen, würden Pflegefachpersonen auf Bachelor- oder Masterstufe immer wichtiger, so Kaspar Küng.

«Wir verstehen uns als hochqualifizierter Akteur und wollen gerade auch im Bildungsbereich weitere Angebote aufbauen», skizziert Küng die künftige Entwicklung von K Care. Dabei werde es sich etwa um Weiterbildungsangebote für Institutionen der Langzeitpflege und Spitex-Organisationen handeln.
 


Spitex Schweiz: Klare Regelungen für die Anstellung pflegender Angehöriger

In einer Mitteilung von Mitte September fordert Spitex Schweiz «klare Regelungen für die Anstellung von pflegenden Angehörigen». Angehörige von pflegebedürftigen Menschen seien unbestritten eine wichtige Unterstützung für die Pflege zu Hause, gleichzeitig verursache die zunehmende Anstellung pflegender Angehöriger erhebliche Kosten und führe zu politischen Diskussionen. In einem Positionspapier fordere der Verband deshalb von Bund, Kantonen und Versicherern eine einheitliche Definition, eine verbindliche Qualitätssicherung, massgeschneiderte faire Anstellungsbedingungen sowie eine faire Finanzierung.

Positionspapier von Spitex Schweiz lesen