QUALITÄT ERZIELEN |«Freude an der Arbeit mit medizinischen Qualitätsindikatoren entwickeln»

31.10.2025 Elisabeth Seifert

Mit der Unterstützung von Pflegeheimen sind praxisnahe Instrumente und Fortbildungen erarbeitet worden, um die Arbeit mit medizinischen Qualitätsindikatoren zu erleichtern. Franziska Zúñiga, Professorin am Institut für Pflegewissenschaft der Uni Basel erläutert die erarbeiteten Materialien - und die Bedeutung der MQI für die Lebensqualität der Bewohnenden.

Frau Zúñiga, das nationale Implementierungsprogramm zur Qualität in der Langzeitpflege, das Sie von wissenschaftlicher Seite begleiten, läuft seit 2022 – und dauert noch bis 2026. Wo steht das Programm zum gegenwärtigen Zeitpunkt?

Franziska Zúñiga: So richtig gestartet sind wir im Jahr 2023 mit verschiedenen Kontextanalysen. Jetzt, in der zweiten Hälfte 2025, sind wir an einem wichtigen Punkt angelangt: Die ersten Instrumente, die Heime in ihrer Qualitätsentwicklung unterstützen sollen, liegen vor und sind Anfang Oktober für alle zugänglich auf der Artiset-Website publiziert worden. Die Fortbildungen für die Heime, die im nächsten Jahr beginnen werden, sind in der Vorbereitung respektive Überarbeitung. Wir sehen langsam die Früchte unserer Arbeit.


Die Praxistauglichkeit der Instrumente und Fortbildungen haben eine Reihe von Pflegeheimen in der ersten Hälfte dieses Jahr überprüft. Welche Rückmeldungen haben Sie erhalten?

Teilgenommen an der Überprüfung haben 22 Heime aus der Deutschschweiz, der Romandie und dem Tessin. Die Instrumente kommen gut an, gerade die Faktenblätter und Powerpoint-Präsentationen für interne Schulungen werden sehr geschätzt. Die Heime haben zwei aufeinander aufbauende Fortbildungen geprüft: Bei der ersten geht es darum, wie die Heime eine bessere Qualität der Daten für die medizinischen Qualitätsindikatoren erzielen können. Und im zweiten geht es darum, wie die Heime mit diesen Daten arbeiten können: Wie sie also die Daten lesen und interpretieren können, daraus ableiten, wo Probleme bestehen und dann eine datenbasierte Entwicklung der Pflegequalität angehen können.


Wie haben die Heime, die ja alle sehr unter Druck stehen, die zeitliche Belastung der Fortbildungen erlebt?

Die Fortbildungen dauerten jeweils drei Monate, das war anspruchsvoll und zu kurz, vor allem beim zweiten Teil, wir bauen diesen jetzt auf sechs Monate aus. Die Heime können sich künftig zudem für die eine oder andere Fortbildung entscheiden. Vor dem Hintergrund fehlender Ressourcen schätzen die Heime gerade das sehr praxisnah entwickelte Material. Die Qualitätsverantwortlichen müssen in der Regel immer alles selbst erarbeiten. Jetzt liegen ihnen Instrument vor, die sie einfach nehmen und umsetzen können.


Anfang Oktober sind erste Instrumente für alle zugänglich aufgeschaltet worden. Worum handelt es sich dabei?

Die Instrumente, die jetzt bereits aufgeschaltet sind, sollen dabei helfen, die Notwendigkeit einer guten Datenqualität zu verstehen. Es geht um die Frage, weshalb es Messungen braucht und wie sich die Datenqualität verbessern lässt. Es handelt sich um Faktenblätter zu den einzelnen medizinischen Qualitätsindikatoren und die zugehörigen Poster, die man auf den Abteilungen aufhängen kann.


Welches sind die Inhalte dieser Faktenblätter?

Diese Faktenblätter haben mehrere Teile. Ein erster Teil beinhaltet eine praktische Anleitung, wie man den Indikator messen muss. Der zweite Teil ist eine Vertiefung und zeigt auf, was die Messungen effektiv bringen. Dieser zweite Teil enthält bereits eine Reihe von Massnahmen, wie sich auf der Grundlage von Daten die Qualität der Pflege weiter entwickeln lässt. Es handelt sich um eine Ideensammlung, die sich dann im Rahmen der Fortbildung zur Verbesserung der datenbasierten Pflegequalität verwenden lässt. Der dritte Teil erläutert, wie der MQI berechnet wird und der vierte Teil gibt Hinweise zu weiterführenden Ressourcen.


Die kostenpflichtigen Fortbildungen für die Heime starten im nächsten Jahr. Wie sind diese Fortbildungen konzipiert?

Gegen Ende des ersten Quartals 2026 starten die Fortbildungen zur Verbesserung der Datenqualität. Vonseiten des nationalen Implementierungsprogramms arbeiten wir hier vor allem mit der Firma Besa Qsys zusammen. Die aufgrund der Rückmeldungen von uns überarbeitete Fortbildungsunterlagen werden sie Anfang Jahr erhalten. Sie entscheiden dann darüber, wann genau sie starten und wie sie die Fortbildung in ihr bestehendes Schulungsprogramm integrieren.


Und wie wird die Fortbildung zur datenbasierten Weiterentwicklung der Pflegequalität lanciert?

Eine wichtige Rolle nehmen hier Kantonalverbände ein. Gemeinsam mit besonders interessierten Verbänden aus allen Teilen der Schweiz starten wir ab März 2026 eine erste Phase der Ausdehnung des Fortbildungsangebots. Wir werden gemeinsam versuchen, die Pflegeheime dieser Regionen für die Teilnahme an der Fortbildung zu gewinnen. Die Anbieter der Fortbildung in der Deutschschweiz sind Artiset Bildung und Careum, für das Tessin ist es die Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana (SUPSI) und für die Romandie l’Institut et Haute Ecole de la Santé La Source (La Source). Das Material für die Fortbildung werden wir jetzt auf Basis der Erkenntnisse aus der Überprüfung anfangs Jahr noch überarbeiten.


Besteht die Möglichkeit, beide Fortbildungen auch innerhalb der eigenen Institution durchzuführen?

Die Materialien für beide Fortbildungen können in Zukunft via die Artiset-Website angefordert werden. Pflegeheimgruppen oder grosse Institutionen könnten solche Fortbildungen durchaus intern anbieten.


Gegen Ende nächstes Jahr dürfte deutlich werden, wie die beiden Fortbildungen in der Heimlandschaft ankommen: Welchen effektiven Mehrwert bringen die Fortbildungen?

Die Fortbildungen helfen dabei, die Arbeit mit den medizinischen Qualitätsindikatoren nicht einfach als eine administrative Belastung wahrzunehmen, sondern den Sinn dahinter zu erkennen und auch Freude daran zu entwickeln. So haben wir das mit den 22 Heimen im Frühjahr erlebt. Es geht um die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner. Die MQI sind eine Art Thermometer, mit dem sich prüfen lässt, ob alles rund läuft, oder ob irgendwo ein Thema besteht, das man angehen sollte. Die geplanten Qualitätsverträge werden die datenbasierten Qualitätsentwicklung zu einem wichtigen Thema machen – mit der Fortbildung sind die Heime dafür bereit.


Neben den bestehenden sechs medizinischem Qualitätsindikatoren sollen noch drei weitere Indikatoren eingeführt werden. Bedeutet das nicht eine Überforderung der Heime?

Es geht um den Indikator Dekubitus und besonders um die beiden Prozessindikatoren gesundheitliche Vorausplanung und Medikationsreview. Ob diese in das nationale Reporting des Bundesamts für Gesundheit aufgenommen werden, ist noch nicht entschieden. Wir starten hier jetzt erst einmal in eine Testphase. Ende November werden wir auf der Artiset-Website verschiedene Instrumente vor allem zu den beiden Prozessindikatoren aufschalten, die erläutern, wie man die gesundheitliche Vorausplanung und ein Medikationsreview einführen kann. Im Frühling 2026 führen wir eine nationale Befragung durch, in der wir die Erfahrungen der Heime bei der Erhebung der Daten zu diesen weiteren Indikatoren abholen. Wir freuen uns über alle Heime, die dabei mitmachen wollen.


Können Sie die Kritik vonseiten mancher Heime nachvollziehen, dass jetzt langsam genug ist?

Es müssen Daten für die medizinischen Qualitätsindikatoren erhoben werden, ja das stimmt. Diese Erhebung ist jedoch Teil der Bedarfsermittlung, welche die Heime sowieso durchführen. Wichtig scheint mir die Überzeugung, dass man diese Daten nicht für die Bundesbehörden, sondern im Dienst der Bewohnenden erhebt. Die gesundheitliche Vorausplanung zum Beispiel wird sehr viel erleichtern. Die Arbeit besteht nachher im Monitoring und der Bearbeitung der Resultate und damit in der Qualitätsentwicklung. Hier unterstützen die Fortbildungen.


Wird es aufgrund der Instrumente und Fortbildungen gelingen, die geforderte Transparenz bei der Pflegequalität zu erreichen?

Wir stellen Instrumente zur Verfügung, damit das gelingt. Auf die Reise begeben müssen sich die Heime selbst. Wir leben in einer für die Heime aufgrund des Fachkräftemangels sehr schwierige Zeit, wo man sich dann oft nur mit dem Notwendigsten beschäftigt. Die Arbeit an der Qualität kann aber gerade auch dabei helfen, Mitarbeitende zu finden.


In diesen Wochen publiziert das Bundesamt für Gesundheit die Werte der MQI auf der Basis der Daten von 2024. Wie beurteilen Sie Sinn und Zweck dieser jährlichen BAG-Publikation?

Die jährlichen Berichte des BAG haben vor allem eine strategische Bedeutung. Die publizierten Daten können darauf aufmerksam machen, wo regionale oder nationale Themen bestehen. In einzelnen Kantonen sind im Parlament zum Beispiel Vorstösse zum Thema Polymedikation eingereicht worden. Wenn es als Folge solcher Vorstösse nicht zu einer Kritik, sondern zu einer Unterstützung der Heime kommt, finde ich das sehr gut. Für die Qualitätsentwicklung der einzelnen Heime sind zeitnähere Daten sinnvoller. Hierzu gibt es auf dem Markt bereits verschiedene Instrumente.


Wo liegt für Sie der Sinn der MQI vor dem Hintergrund eines breiten Qualitätsverständnisses – gerade auch jenseits von Daten?

Offiziell spricht man von medizinische Qualitätsindikatoren. Wenn wir aber die Inhalte genauer anschauen, dann geht es um Lebensqualität. Weniger Schmerzen zu haben oder aufgrund der gesundheitliche Vorausplanung autonom entscheiden zu können, das ist Lebensqualität. Es ist nicht notwendig, die medizinischen Qualitätsindikatoren auf der einen Seite und Befragungen von Bewohnenden auf der anderen Seite gegeneinander auszuspielen. Beides zusammen ermöglicht eine gute Qualität.
Die Instrumente zur datenbasierten Weiterentwicklung der Pflegequalität

Webinar vom 18. November NIP-Q-UPGRADE: Wie gelingt eine datenbasierte Qualitätsentwicklung anhand der medizinischen Qualitätsindikatoren in Pflegeheimen?
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Ein nationales Programm

Das Nationale Implementierungsprogramm – Qualität der Langzeitpflege in Alters- und Pflegeheimen (NIP-Q-UPGRADE) schafft die Basis, um wissenschaftliche Erkenntnisse über wirksame Qualitätsmassnahmen zu erweitern und in den Betrieben zu implementieren. In enger Zusammenarbeit mit den Heimen optimiert das Programm die datenbasierte Pflegequalität. Die Branchenverbände Curaviva und Senesuisse leiten das Programm im Auftrag der Eidgenössischen Qualitätskommission EQK. Die Umsetzung erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Institut für Pflegewissenschaft (INS), Universität Basel, l’Institut et Haute Ecole de la Santé La Source (La Source), Lausanne und Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana (SUPSI), Manno.
 


Qualitätsverträge: Finanzierung der Umsetzung muss gesichert sein

Die Pflegeheime leisten bereits heute viel im Bereich der Qualität. Gemäss Art. 58a KVG sind die Verbände der Leistungserbringer und Versicherer verpflichtet, nationale Verträge zur Qualitätsentwicklung abzuschliessen – sogenannte Qualitätsverträge. Gesetz und Verordnung definieren klare Anforderungen: Qualitätsmessung mittels medizinischer Qualitätsindikatoren (MQI), Umsetzung von Verbesserungsmassnahmen, regelmässige Überprüfung und ein jährlicher Bericht zum Umsetzungsstand. Diese Vorgaben bedeuten einen zusätzlichen Aufwand für Heime und Verbände. Die Verhandlungen weisen auf drei zentrale Herausforderungen hin:

  • Pflegeheime: Wie ist die Abgeltung des Mehraufwands vor Einführung von EFAS (Tarife, 2032) möglich?
  • Verbände (national und kantonal): Wie können sie ihre vertragliche Aufgabe der Überwachung der Qualitätsentwicklung wahrnehmen?
  • Verantwortungsebene: Wie lassen sich die national vertraglich vereinbarten Anforderungen mit den kantonalen Vorgaben zur Qualitätsentwicklung sinnvoll verbinden?

Die nationalen Branchenverbände werden die Verträge erst dann unterzeichnen, wenn die Finanzierung für die Umsetzung sichergestellt ist. Die Begleitinstrumente des Programms NIP-Q-Upgrade bieten eine solide Grundlage: Sie unterstützen die Pflegeheime bei der kontinuierlichen Qualitätsentwicklung auf Basis verlässlicher Daten (MQI) und ermöglichen eine wirksame Umsetzung der Anforderungen aus den Qualitätsverträgen.