Wiedereinsteigerinnen wollen gefunden werden

16.02.2022 Elisabeth Seifert,
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Berufsfrauen mit Lebenserfahrung sind ein Gewinn für die Betriebe – und mildern den akuten Personalmangel. Sie zu finden, erfordert Kreativität vonseiten der Arbeitgebenden vor Ort. Mit Geldern der öffentlichen Hand allein ist wenig erreicht. Das zeigen Erfahrungen aus der Zentralschweiz.

Die Suche nach Pflegekräften gleicht oft der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Besonders rar auf dem Arbeitsmarkt sind diplomierte Pflegefachpersonen. Um der angespannten Personalsituation zu begegnen, gibt es eine Reihe von Anstrengungen. Unter anderem alimentiert der Bund über einen Zeitraum von fünf Jahren kantonale Förderprogramme, um wiedereinsteigenden Pflegefachpersonen die Rückkehr in den Beruf zu erleichtern.

Rund zwei Drittel der Kantone nehmen mittlerweile daran teil und beanspruchen die bereitgestellten Bundesgelder. Je zur Hälfte beteiligen sich Bund und Kantone an den Kosten für Auffrischungskurse. Damit sollen Betriebe und Wiedereinsteigende gleichermassen ermutigt und entlastet werden.

Noch längst nicht alle Interessierten erreicht

Der Erfolg der Bemühungen ist – jedenfalls bisher – überschaubar. Die meisten Kantone haben ihre Programme erst vor rund zwei Jahren gestartet, und damit zu einem Zeitpunkt, an dem die Pandemie andere Prioritäten erforderte.
Auf Bundesebene sind, Stand jetzt, keine Zahlen verfügbar, weder zur Anzahl der Personen noch zum ausgeschütteten Betrag. Besondere Bemühungen unternommen haben seit Frühling 2020 die sechs Zentralschweizer Kantone Luzern, Obwalden, Nidwalden, Schwyz, Uri und Zug. Ihre gemeinsame Kampagne «Mein Wiedereinstieg in die Pflege» bezieht sämtliche Akteure mit ein. Neben verschiedenen Anbietern von Weiterbildungskursen, darunter Artiset Bildung, sind Vertretungen der Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden mit an Bord. Koordiniert wird das Projekt durch den Berufsbildungsverband Xund, Organisationen der Arbeitswelt (OdA) Gesundheit Zentralschweiz.

Trotz des Engagements, das etwa eine Internetplattform, Medien- und Weiterempfehlungskampagnen umfasst, konnten in den letzten beiden Jahren gerade mal 11 Gesuche um die Übernahme der Kosten von Auffrischungskursen bewilligt werden, 4 im Jahr 2020 und 7 im vergangenen Jahr. Diese Zahlen bilden allerdings nicht die Gesamtheit der Wiedereinsteigerinnen ab, betont Tobias Lengen, Geschäftsführer der OdA und stellvertretender Direktor des Bildungszentrum Xund.

Nur ein kleiner Teil der Interessierten steige nämlich über einen solchen Kurs wieder in den Beruf ein. Die meisten werden auch ohne zuvor besuchte Weiterbildungstage auf dem Arbeitsmarkt fündig und bilden sich innerhalb des Betriebs oder parallel zu ihrer Arbeit weiter. Die Kosten dafür übernehmen die Arbeitgebenden und/oder die Arbeitnehmenden.

«Die Betriebsleitenden sind gut im Jammern darüber, dass sie keine Leute finden, scheuen aber oft die nötigen Anstrengungen», Roman Wüst

Die Zentralschweizer Kampagne beschränke sich denn auch nicht darauf, das Förderprogramm des Bundes zu bewerben, sondern möchte generell Wiedereinsteigende gewinnen. Auch hier ist der Erfolg allerdings eher bescheiden. Oder wie Tobias Lengen es ausdrückt: «Wir sind daran, den Boden zu bereiten.» Errechnet haben die Verantwortlichen für die über 200 Betriebe der Zentralschweiz im Bereich der Akut- und Langzeitpflege ein Potenzial von knapp 40 Wiedereinsteigenden pro Jahr. Gemäss einer Umfrage sind im Jahr 2020 16 Wiedereinsteigende angestellt worden, wobei etwa ein Drittel der Betriebe geantwortet hat. 2021 waren es – bei gleich viel antwortenden Betrieben – gerade mal 8  Wiedereinsteigende. «Diese Zahlen sind jedoch nicht repräsentativ», erklärt Tobias Lengen. Viele Betriebe rekrutierten noch gar nicht bewusst Wiedereinsteigerinnen.

Arbeitgebende sensibilisieren

«Es gibt noch viele potenzielle Wiedereinsteigende, wir haben noch längst nicht alle erreicht», bilanziert Tobias Lengen die Bemühungen der letzten beiden Jahre. Man werde auch im Jahr 2022 dranbleiben und weitere Aktionen planen.
Dazu gehöre ganz besonders auch die Sensibilisierung der Betriebe respektive der Arbeitgebenden. Gerade die Langzeitpflege, Heime oder Spitex, sind auf zusätzliche Pflegende auf Tertiärstufe angewiesen. «Vonseiten der Kampagne haben wir Informations- und Werbematerial erarbeitet, das die Betriebe noch besser einsetzen könnten, um potenzielle Wiedereinsteigende anzusprechen», meint Lengen.

«Die Betriebsleitenden sind gut im Jammern darüber, dass sie keine Leute finden, scheuen aber oft die nötigen Anstrengungen», hält Roman Wüst durchaus kritisch fest. Er ist Präsident von «Curaviva Zentralschweiz – Bildung» und zudem Direktor der Altersresidenz Am Schärme in Sarnen OW.

Die Suche nach Wiedereinsteigenden sei ein sehr lokales Geschäft, weiss er aus eigener Erfahrung. Er führt pro Jahr bei sich im Betrieb drei Informationsabende für potenzielle Wiedereinsteigende durch. Wichtig sei zudem, innerhalb der Standortgemeinde und im näheren Umkreis, etwa im Muki-Turnen oder bei Kinderärztinnen und Kinderärzten, Flyer aufzulegen, um potenzielle Wiedereinsteigende anzusprechen. Und: «Bei Austrittsgesprächen sage ich immer, unsere Türe steht euch offen, meldet euch wieder, wenn es irgendwie geht.» In den letzten zwei Jahren konnte Roman Wüst auf diese Weise drei Pflegefachpersonen HF und weiteres Personal im Bereich Hilfspflege und Hauswirtschaft für den Wiedereinstieg gewinnen.

Mit den Aussteigenden in Kontakt bleiben

Auch Wiedereinsteigende selber erachten das Engagement der Arbeitgebenden bei der Suche nach Interessierten für zentral. Wir haben mit drei Teilnehmenden des aktuellen Wiedereinsteigerinnenkurses von Artiset Bildung gesprochen, die nach einer längeren Familienpause im Verlauf der letzten ein bis vier Jahre in ihren ursprünglichen Beruf als diplomierte Pfegefachfrau zurückgekehrt sind: Jacqueline Schacher, 52, arbeitet in einem 40-­Prozent-Pensum in der Betreuung und Pfege Malters AG im Kanton Luzern; Anita Frei, 58, ebenfalls mit einem 40-Prozent-Pensum im Altersheim Mels SG und Anna Marti, 62, mit einem 80-Prozent-Pensum in der Luzerner Psychiatrie in St. Urban.
«Als Arbeitgeber sollte man mit den Ausgestiegenen weiterhin in Kontakt bleiben», unterstreicht Anna Marti. Etwa mit sporadischen Mails samt dem Hinweis auf Weiterbildungsangebote sowie ausgeschriebene Stellen. «Wenn ich regelmässig solche Infos bekommen hätte, wäre ich wahrscheinlich schneller wieder in meinen ursprünglichen Beruf eingestiegen.»

Ganz ähnlich meint auch Anita Frei: «Gut wären zum Beispiel spezifisch auf Wiedereinsteigerinnen zugeschnittene Inserate.» Diese sollten Mut machen, sich zu melden, und konkrete Angebot enthalten, um sich schneller und besser zurechtzuifnden. «Ich erlebte in den ersten Monaten eine Achterbahn der Gefühle, die grösste Herausforderung war die Computerarbeit.»

Alle drei haben den Wiedereinstieg, auch dank der Unterstützung durch die Arbeitgebenden, indes gut gemeistert. «Ich hatte das Vertrauen und bekam genügend Zeit, um mich einzuarbeiten», hält Jacqueline Schacher fest. Sie schätzt auch die Möglichkeit eines Teilzeitpensums, das ihr den nötigen Freiraum und Erholungsmöglichkeit gewähre.
Eine Herausforderung bedeute freilich, dass Teilzeitmitarbeitende bei Krankheitsausfällen einspringen müssen und sich so rasch viele Überstunden anhäufen. Eine Erfahrung, die auch Anita Frei macht. Besonders ermutigend war und ist für sie das gute Feedback des Teams auf der Abteilung. «Sie schätzen meine soziale Kompetenz.»

Gar als «reibungslos» bezeichnet Anna Marti ihren Wiedereinstieg. Dabei geholfen hätten ihr in den vergangenen Jahren zahlreiche Weiterbildungen in verschiedenen Bereichen der Medizin. «Ich kann mir schnell den Überblick über eine Situation verschafen.» Als sehr unterstützend hat auch sie das Team erlebt, «zu Beginn konnte ich einfach mitlaufen, ohne selbst Verantwortung zu tragen».


Infos zur Plattform der Zentralschweizer Kampagne:
www.wiedereinsteigen.ch

Foto: Freemixer/iStock