BRANCHEN UND KANTONE | Vom Kanton Waadt als Partner anerkannt

18.09.2025 Anne-Marie Nicole

Im Kanton Waadt gelten für soziale Institutionen sowie Alters- und Pflegeheime zahlreiche Gesetze, Reglemente und Richtlinien. Die beiden ­Dachverbände Héviva und Avop beschweren sich aber nicht über diesen strikten Rahmen, sondern engagieren sich für eine konstruktive Partnerschaft mit dem Kanton. Auf diese Weise können sie dazu beitragen, die Regeln flexibler zu gestalten, damit diese den vielfältigen und sich wandelnden Bedürfnissen ihrer Mitglieder besser entsprechen.

Für medizinisch-psychosoziale Institutionen im Kanton Waadt gelten über achtzig Gesetze, Reglemente, Verordnungen, Richtlinien und Empfehlungen – die Bundesgesetze noch gar nicht mit eingerechnet. Das geht aus dem «Recueil des exigences applicables» hervor, einer Art Verzeichnis der geltenden Anforderungen, das Héviva, der waadtländische Branchenverband für medizinisch-psychosoziale Einrichtungen, für seine Mitglieder erstellt hat. Betriebsbewilligung, Rauchverbot, Suizidbeihilfe, Personalschlüssel, vormundschaftliche Massnahmen, Kontenplan, Architektur, Tarife für Betreuung und Hotellerie, Abfallmanagement, Qualitätsprüfung, Hilfsmittel, Alkoholausschank, Hygiene, Medikamente und vieles weitere. Es gibt kaum einen Aspekt der Funktion und Organisation medizinisch-psychosozialer Institutionen, für den keine verbindliche Vorschrift besteht.

Laut François Sénéchaud, Generalsekretär bei Héviva, ist dieser rechtliche Rahmen zwar beeindruckend, aber nicht überraschend: Immerhin sind im Kanton über 250 soziale, sozialmedizinische, psychosoziale und sozialpädagogische Einrichtungen ambulant und stationär in den Bereichen Jugend, Beeinträchtigung und Alter tätig. Statt sich zu beschweren, konzentriert er sich lieber auf die Chancen für den Dachverband und seine Mitglieder, bei der Ausarbeitung, Anpassung und flexibleren Gestaltung dieser Rechtsvorschriften mitzuwirken. So lässt sich sicherstellen, dass sie stets mit den sich verändernden Bedürfnissen der begleiteten Personen Schritt halten.

Ein verlässlicher, glaubwürdiger Partner

Die Gesetzesbestimmungen und Auflagen des Kantons Waadt regeln aber nicht einfach nur den Betrieb der sozialen Institutionen und Alters- und Pflegeheime. Sie erkennen formell das Bestehen der Dachverbände an und übertragen ihnen bestimmte Rechte und Pflichten. So wird Héviva – ehemals AVDEMS – im Gesetz zur Planung und Finanzierung von Einrichtungen des Gesundheitswesens von öffentlichem Interesse ausdrücklich als Partner des Staates bezeichnet. Dasselbe Gesetz gesteht dem Verband einen Sitz in der Kommission für Gesundheitspolitik zu.

Ein verlässlicher, glaubwürdiger Partner muss Analyse­fähigkeiten besitzen und Vorschläge einbringen können. Zudem sollte er über entsprechendes Zahlenmaterial verfügen. Hier verweist François Sénéchaud auf eine vor rund zehn Jahren geführte Diskussion innerhalb der Kommission für Gesundheitspolitik, bei der die Schuld für die notorisch überlasteten Spitäler den Alters- und Pflegeheimen zugeschoben wurde. «Diese Behauptung konnten wir ohne entsprechende Zahlen nicht einfach entkräften. Daher haben wir damals damit begonnen, Statistiken zu den Spitaleintritten, der Anzahl betroffener Personen, den Gründen oder den häufigsten Wochentagen und Tageszeiten zu erheben. Wir wollten das Phänomen wirklich verstehen und beim Staat gegen die Fehlinterpretation der Problematik argumentieren können.»

«Die Partnerschaft mit dem Staat muss so gut sein, dass wir die Themen offen ansprechen können – ob formell, wie etwa bei Verhandlungen, oder informell, um Ideen zu erproben.» François Sénéchaud, Generalsekretär von Héviva

Die Zahlenerhebung durch das Team von Héviva erstreckt sich seither auch auf andere Tätigkeiten der Heime und ist eine wertvolle Quelle für die Arbeit des Dachverbands. Regelmässig kann der Verband so Informationen der kantonalen Behörden zu Rücklagen und Gewinnen der Alters- und Pflegeheime und psychosozialen Pflegeeinrichtungen korrigieren. Der Generalsekretär betont, dass der Gewinn nur 1,2 Prozent des Umsatzes beträgt, was auf eine gute Geschäftsführung hindeutet, und dass die Rückstellungen zweckgebunden sind.

«Die Partnerschaft mit dem Staat muss so gut sein, dass wir die Themen offen ansprechen können – ob formell, wie etwa bei Verhandlungen, oder informell, um Ideen zu erproben», so François Sénéchaud. Die Qualität des Dialogs sei daran erkennbar, dass die Partnerschaft nicht aufs Spiel gesetzt werde, wenn die Parteien auch mal nicht gleicher Meinung seien.

Unternehmergeist fördern

Der positive Aspekt der Partnerschaft mit dem Staat und der Tendenz zur Regulierung liegt in der Verknüpfung zwischen gesetzlicher Anforderung und ihrer Finanzierung. Mit anderen Worten: Wer Regeln vorgibt, muss auch die Mittel für deren Anwendung bereitstellen. Negativ sind jedoch unweigerlich die damit verbundenen Pflichten und die vorgeschriebenen Kontrollen sowie das Risiko der Standardisierung.

Die 60 Mitglieder von Héviva vertreten fast 150 Organisationen. Diese erbringen unterschiedliche Leistungen – von der Unterstützung in den eigenen vier Wänden bis hin zur Langzeitpfleg – und decken damit unterschiedliche Ausgangslagen und Erwartungen ab. «Es gibt nicht nur eine einzige Art der Begleitung», ruft François Sénéchaud in Erinnerung. «Die Arbeit des Dachverbands geht in Richtung einer Flexibilisierung der Vorschriften, um Innovationen und Unternehmergeist zu fördern. Bei jeder Gelegenheit fordern wir Toleranz oder Ausnahmeregelungen. Wir begleiten unsere Mitglieder auch bei den notwendigen Schritten, wenn es etwa darum geht, architektonische Richtlinien oder Anforderungen im Bereich der Personaldotation umzusetzen.» Bei Letzteren ist das Pilotprojekt zum Thema «Zusammensetzung der Begleitteams» beispielhaft für eine aktive und konstruktive Partnerschaft.

Das von Héviva initiierte Pilotprojekt soll Mitglieder unterstützen, die unter einem Pflegepersonalmangel leiden. Und zwar indem die Funktion einer administrativen Koordinatorin für Pflege und Begleitung (CASA) geschaffen wird. Ihre Aufgabe ist es, das Pflegepersonal bei bestimmten Verwaltungsaufgaben zu entlasten, damit es sich ganz auf seine eigentlichen Funktionen konzentrieren kann. Das Projekt wurde den kantonalen Behörden im Herbst 2022 vorgestellt. Im Februar 2023 erhielt Héviva grünes Licht und startete noch im März das Pilotprojekt. Anfang dieses Jahres veröffentlichte der Verband seinen Bericht und seine Empfehlungen. Nun sind die staatlichen Partner am Zug. Sie müssen den Empfehlungen der Projektgruppe zufolge den recht­lichen Rahmen ändern – insbesondere die geltende Personaldotations-Richtlinie. Für Héviva wiederum geht es darum, die Integration der neuen Funktion in den Heimen zu fördern und die Teams mit Schulungen zu begleiten.

Manchmal allerdings gelten für den Dachverband und seine Mitglieder auch Anforderungen, die mit der Aufgabe der Organisationen nicht vereinbar sind. So sollen dem Gesundheitsamt zufolge Tagespflege-Einrichtungen für Menschen im Alter dieselben Hygieneregeln beachten müssen wie Restaurants. Damit dürften die Leistungsbeziehenden zum Beispiel nicht mehr selbst Gemüse zubereiten, was dem Sinn dieser Einrichtungen widerspricht, die darin beseht, wenn immer möglich die Autonomie der Menschen aufrechtzuerhalten. «Manchmal muss der Dachverband einen Weg finden, um in diesem Wirrwarr die Interessen seiner Mitglieder geltend zu machen», so François Sénéchaud.

Zahlreiche Ansprechpersonen

Der Verband Avop vertritt die sozialen Institutionen und Sonderpädagogik-Einrichtungen des Kantons Waadt. Auch er befindet sich oft in einer oder gar zwei Zwickmühlen. Zum Verband Avop gehören 61 Heime im Kanton, die im betreuerischen, sozialpädagogischen, arbeitsagogischen, pädagogisch-therapeutischen und sozialmedizinischen Bereich tätig sind. Sie begleiten Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit einem ganz unterschiedlichen Unterstützungsbedarf (Beeinträchtigung, psychische Gesundheit, Sucht, Prekarität, Kinderschutz).

Aufgrund der unterschiedlichen Dienstleistungen ihrer Mitglieder sind für sie innerhalb der kantonalen Verwaltung drei Generaldirektionen zuständig, die Direktionen für sozialen Zusammenhalt, für Kinder- und Jugendfragen sowie die Direktion für Regelunterricht und Sonderpädagogik. Gemeinsam mit jeder dieser Generaldirektionen führt der Verband verschiedene Projekte durch. Dazu zählen die Begleitung komplexer Situationen im Erwachsenenbereich mit der Generaldirektion für sozialen Zusammenhalt, die Modellierung von Stellenplänen mit derjenigen für Kinder- und Jugendfragen und ein Modell für Betreuungsquoten mit der Generaldirektion für Regelunterricht und Sonderpädagogik.

«Der Kanton ist der wichtigste Geldgeber für unsere Heime. Daher müssen wir natürlich mit seinen Ämtern zusammenarbeiten und gemeinsam die bestmöglichen ­Kompromisse suchen.» Olivier Salamin, Generalsekretär von Avop

«Wir möchten die Interessen der Arbeitgebenden vertreten und zugleich als Partner des Staates auftreten», so Olivier Salamin, Generalsekretär von Avop. «Wir wollen keinen verbindlichen Rahmen bekämpfen, sondern Lösungen finden, die die Bedürfnisse der Leistungsbeziehenden berücksichtigen.» Tatsächlich unterzeichnet jede Mitgliederinstitution der Avop eine individuelle Subventionsvereinbarung mit dem Kanton und verhandelt selbstständig allfällige Geldmittel oder Unterstützungen, die sie benötigt. Aufgrund seiner Funktion als Partner des Kantons möchte der Dachverband der sozialen Institutionen seine Mitglieder bei gemeinsamen Themen an einen Tisch holen. Die laufenden Projekte mit den drei Generaldirektionen des Kantons erfordern jeweils eine objektive Bedarfsabklärung mit dem Ziel einer Vereinheitlichung der Praxis. Sie mobilisieren zudem zahlreiche Personen der Heime mit Fachwissen aus der Praxis.

Suche nach Synergien von Avop und Héviva

Im Allgemeinen erachten die Mitglieder diese Ansätze als konstruktiv, auch wenn manchmal weitergehende Forderungen laut werden. «Der Kanton ist der wichtigste Geldgeber für unsere Heime. Daher müssen wir natürlich mit seinen Ämtern zusammenarbeiten und gemeinsam die bestmöglichen Kompromisse suchen und erarbeiten», antwortet Olivier Salamin pragmatisch. «Letztlich haben wir alle dasselbe Ziel: Wir möchten Menschen in Schwierigkeiten eine hochwertige Begleitung bieten.» Wie Héviva möchte auch der Verband Avop bei problematischen Vorschriften und Richtlinien, die die praktischen Auswirkungen nur ungenügend berücksichtigen, eingreifen können. Auch er würde gerne gewisse Verfahren vereinfachen und straffen – insbesondere bei Finanzierungsmodellen und Bewilligungsgesuchen. «Die Heime müssten mehr Spielraum haben – nach dem Grundsatz der Branchenautonomie. Wenn man ihnen eine Aufgabe überträgt, sollte man ihnen auch vertrauen.»

Das vor ein oder zwei Jahren noch recht kleine Team von Avop ist inzwischen stark gewachsen. Das war auch notwendig, um die laufenden Projekte erfolgreich durchzuführen und eine konstruktive Partnerschaft mit dem Staat aufzubauen. Der im nächsten Sommer anstehende Umzug von Avop in die Räume von Héviva freut Olivier Salamin. Die geografische Annäherung bietet Gelegenheit zur Bündelung von Erfahrung und Kompetenzen. Dies ist umso relevanter, als einige Mitglieder beiden Verbänden angehören. «Uns allen liegt an einer Zusammenarbeit und daran, gemeinsame Positionen zu verteidigen. Der Fachkräftemangel stellt uns vor dieselben Herausforderungen», so François Sénéchaud. «Die räumliche Nähe dürfte daher den Aufbau von Synergien fördern.»


Foto: La Maison du Pélerin