ARCHITEKTUR | Bedürfnisgerecht umgesetzt

22.03.2023 Angelika Voigt und Katrin Bircher

Im kommenden Herbst zieht das Wohnheim Sonnegarte in St. Urban LU – ein Wohnheim für Menschen mit Behinderung – in einen Neubau ein. Bei der Planung wurden die künftigen Bewohnerinnen und Bewohner miteinbezogen.

Im Wohnheim Sonnegarte in St. ­Urban LU finden erwachsene Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen sowie Personen mit hoher Betreuungsintensität ein familiäres Zuhause, in dem sie im Alltag unterstützt und gefördert werden. Bis im Oktober dieses Jahres entsteht nun ein Gebäude, in dem in zwölf Wohngruppen 64 Betreuungsplätze angeboten werden sollen. Bei der Planung des Neubaus wurden die Bedürfnisse der zukünftigen Bewohnenden umfassend berücksichtigt und umgesetzt.

Autonomie und Partizipation

Schon vor der Planungsphase mit dem Architektenteam erstellte ein Team – bestehend aus der Wohnheimleitung zusammen mit Fachpersonen aus den Bereichen Betreuung und Pflege sowie Sozialpädagogik – ein Betreuungs- und Pflegekonzept, das auf einem sozial­pädagogischen Fundament basiert. Höchste Priorität im Konzept haben Autonomie und Partizipation der Bewohnerinnen und Bewohner: Sie ­sollen die Möglichkeit haben, ein selbstständiges Leben zu führen, und sie sollen in die individuelle Gestaltung des Alltags miteinbezogen werden. Von zentraler Bedeutung sind Erhalt und Förderung der Lebensqualität. Diese Zielsetzung wurde den Wettbewerbs­unterlagen fürs Projekt beigelegt, sie hatte bei der Wahl des Siegerprojekts entsprechendes Gewicht.

Der zweistufige Projektwettbewerb wurde im Juni 2017 öffentlich ausgeschrieben, 41 Teams bewarben sich. Die Jury hat schliesslich das Projekt der ARGE Schärli AG/Meyer Gadient Architekten AG Luzern als Siegerprojekt erkoren. Ihre Komposition besteht aus zwei dreigeschossigen Gebäudeflügeln mit den Wohngruppen, die durch einen zweigeschossigen Zwischenbau zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Der Zwischenbau als Bindeglied der zwei Wohnflügel bildet den zentralen Bereich – einen Begegnungsraum mit Eingang, Foyer und Mehrzweckraum. In den Neubauten sind ausschliesslich helle Einzelzimmer mit grossen Fensterflächen, eigener Nasszelle und teilweise sogar mit einer Loggia entstanden. Der sonnige Dachgarten oder die private Loggia bieten einen sicheren Bewegungs- und Aufenthaltsort sowie einen attraktiven Blick in den Garten.

Wünsche und Anregungen

In den Gebäuden der Wohngruppen gibt es bedürfnisgerechte Küchen, offene Wohnräume und Nischen, welche die Möglichkeit bieten, entweder die Zeit in Gemeinschaft zu verbringen oder sich zurückzuziehen. Die Korridore im Gebäude sind breit genug für eine ungehinderte Fortbewegung.

Der Atelierbau als Solitär im Südosten des Grundstücks bildet den räumlichen Abschluss der Gesamtanlage. Jüngere und mobilere Bewohnende finden hier an fünf Tagen pro Woche eine abwechslungsreiche Tagesbeschäftigung sowie Begleitung bei individuellen Freizeitbeschäftigungen. In den Ateliers wird in Zusammenarbeit mit Bewohnenden für den Unterhalt im Gebäude und Garten gesorgt. Ältere oder schwächere Personen nutzen stundenweise die Therapieangebote. Alle Bewohnerinnen und Bewohner werden im und um das Wohnheim gemäss ihren spezifischen Fähigkeiten und vorhandenen ­Ressourcen beschäftigt und in die täg­liche Arbeit miteinbezogen.

Die Bewohnerinnen und Bewohner wurden bei der Realisierung des Neubaus von Anfang an integriert. Um den Baufortschritt verfolgen zu können, wurde während der Bauphase eine Besucherplattform erstellt, die mit dem Rollstuhl erreicht werden kann. Wünsche betreffend Ausstattung und Einrichtung wurden aufgenommen und so weit als möglich umgesetzt. So wurde beispielsweise ein Briefkasten, in dem Wünsche und Anregungen zum Neubauprojekt gesammelt wurden, regelmässig von den Bewohnenden und den Mitarbeitenden mit Ideen gefüllt.
Architekt Christian Meyer, verantwortlich für den Neubau des Wohnheims Sonnegarte, erläutert, worauf er beim bedürfnisgerechten Bauen besonders geachtet hat:

Herr Meyer, vor dem Wettbewerb wurde Ihnen das ­Betreuungs- und Pflegekonzept ausgehändigt. Ist es Ihnen ge­lungen, die Zielsetzungen umzusetzen?
Bereits im Projektwettbewerb haben wir versucht, viele Bedürfnisse abzu­decken. Zum Teil mussten während des Planungsprozesses verschiedene Anforderungen aus technischen oder finanziellen Gründen angepasst werden. Erst mit der Aufnahme des Betriebs wird sich zeigen, wie gut die Umsetzung der Bedürfnisse gelungen ist.

Welcher Teil des Neubaus deckt die Bedürfnisse der Bewohnenden am besten ab?
Uns war wichtig, dass der Neubau die Atmosphäre eines Zuhauses ausstrahlt und nicht einer Klinik mit geschlossenen Stationen ähnelt. Wir konnten die Wohngruppen trotz vieler technischer und funktionaler Vorgaben wohnungsnah gestalten und hoffen, dass sich die Bewohnenden wohlfühlen werden.

Welches waren die grössten Herausforderungen bei der Planung?
Es waren verschiedene Anspruchsgruppen ins Projekt involviert, die teilweise unterschiedliche Interessen vertraten. Es war anspruchsvoll, der Balance aus den Ansprüchen an Gebäude, Technik, Kostendruck, Sicherheit, Funktion und Ästhetik gerecht zu werden und allen bestmöglich zu entsprechen.

Welche Unterschiede gibt es im Vergleich zu Bauten für Pflegeheime?
Gegenüber Altersheimen ist der Haupt­unterschied die Gliederung in einzelne kleinere Wohngruppen anstelle von grossen, meist zusammenhängenden Stationen. Zusätzlich gibt es erhöhte Vorgaben an die Sicherheit wie beispielsweise geschlossene Stationen oder raumhohe Absturzsicherungen. Aus­serdem bestehen unterschiedliche Anforderungen in Bezug auf die persönlichen Räume, sodass neben normalen Zimmern auch Kriseninterventionszimmer vorhanden sein müssen.

Gibt es ein Detail, das für den Neubau des Wohnheims Sonnegarte einzigartig ist?
Speziell sind für mich ganz besonders der Dachgarten über dem Mitteltrakt mit der Kulissenfassade und die Passerelle mit Treppen.

Haben Sie eine Vermutung, was den Bewohnerinnen und Bewohnern beim Neubau am besten gefallen wird?
Ja – die Aussicht! Diese ist einmalig schön, und man sieht ringsum viel Grün und weit in die Ferne.
Was ist Ihnen in der Planung respektive bei der Umsetzung besonders gut gelungen?
Was uns gut gefällt, ist der hofartige Aussenraum gegen Süden, der das Hauptgebäude zusammen mit dem Ateliergebäude aufspannt, sowie die leicht geknickten Fassaden.

Was wünschen Sie dem Wohnheim Sonnegarte für die Zukunft?
Wir hoffen, dass sich alle Bewohnenden und Betreuenden am neuen Ort rasch wohlfühlen werden. Die Wohngruppen sind bisher noch über drei Standorte verteilt, es ist ein einmaliges Ereignis, dass nun alle im gleichen Haus zusammenleben und zentrale, gemeinsame Bereiche nutzen können. Hoffentlich werden alle diese neuen Räume rege genutzt und bringen die Bewohnenden und Betreuenden zusammen.
Im Oktober 2023 wird es nach zweieinhalbjähriger Bauzeit so weit sein: Alle bisherigen 48 Bewohnenden und auch neue Klienten werden im spezifisch für ihre Bedürfnisse geplanten, gebauten und eingerichteten Gebäude am Standort St. Urban einziehen können. Angelika Voigt, Leiterin Wohnheim Sonnegarte freut sich sehr: «Über zwei Jahre wurden viele Ideen, Wünsche und Bedürfnisse von Bewohnenden und Mitarbeitenden an uns herangetragen. Wir haben diese ernst genommen und bestmöglich umgesetzt.»



Angelika Voigt ist Leiterin des Wohnheims Sonnegarte, Katrin Bircher ist Bereichs- leiterin HR