DIVERSITÄT | Offen für die Welt der anderen

24.03.2022 Elisabeth Seifert,
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Jahn Graf empfängt in seiner Wohnung in Cham ZG seit sechs Jahren Menschen aus vielfältigen Lebenssituationen und ­unterhält sich mit ihnen über alles, was ihn und seine Gäste ­interessiert. «Nur wenn man miteinander redet, gibt es auch ein Verständnis füreinander», sagt er.

Die Haustür steht offen, Jahn Graf erwartet uns bereits. «Kommt nur herein», ruft er uns zu. Und kaum haben wir seine Wohnung betreten, beginnen wir eine ungezwungene, beinahe freundschaftliche Unterhaltung, als ob wir uns längst kennen würden. Darauf angesprochen, meint er mit einem Schmunzeln: «Ja, es ist wohl ein Talent von mir, mit anderen unkompliziert ins Gespräch zu kommen.»

Über Themen aller Art

Den Beweis dafür liefert gleichsam sein Gästebuch mit Einträgen von rund 150 Interviewpartnerinnen und -partnern, mit denen sich Jahn auf seinem eigenen Youtube-­Kanal «Jahns rollende Welt» seit 2016 über Themen aller Art unterhält.

«Einfach Menschen, die mich interessieren.»

Über Kunst zum Beispiel: «Kunst ist das Einzige, was bleibt, Kunst ist das, was uns nährt.» Es geht auch um die Gesellschaft, um politische Themen, darunter um Fragen, die Menschen mit Behinderung betreffen. So breitgefächert wie das Spektrum seiner Themen, so vielfältig sind seine Gäste. Kabarettistinnen wie Patty Basler oder Jane Mumford gehören dazu, Politikerinnen und Poli­tiker, Selbstvertreterinnen und Selbstvertreter, bekannte Gesichter aus der Medienwelt, etwa Nik Hartmann oder Sandro Brotz, Fachpersonen aus dem Bereich Behinderung, Sportlerinnen und Sportler, auch seine Eltern und seine Schwester waren bei ihm zu Gast. «Einfach Menschen, die mich interessieren.»

Seine Wohnung in Cham ZG wird für diese Interviews kurzerhand zum Filmstudio umfunktioniert. Der 31-Jährige hat sich die dafür die nötigen Kompetenzen, die technischen und journalistischen, selbst angeeignet. Im «Freestyle»-Verfahren, wie er meint, mit viel Learning by Doing. «Ich pläuderle gerne», sagt er mit einem sympathischen Understatement. «Schon in der Schule hatte ich ein grosses Redebedürfnis und ein Interesse an allem, was mich umgibt.»
 


Interview mit Jahn Graf

Interview mit Jahn Graf (mp3, 9.2 MB)

Ein Kurzinterview mit Jahn Graf zur Integration von Menschen mit Behinderung.

 


«Durch den Dialog entsteht Reibung und Wärme»

Den Leuten gefällt, was sie vom «Rollstuhl-Youtuber» Jahn Graf hören und sehen. Die Zahl der Abonnentinnen und Abonnenten seines Youtube-Kanals hat über die Jahre laufend zugenommen. Rund 900 sind es mittlerweile. Er hat sich auch über diese Community hinaus längst einen Namen gemacht.

«Ich nehme sehr viel von dem, was ich höre, in mein Leben mit.»

Wie bereits während den Paralympics letzten Sommer in Tokio moderierte er auch jetzt im März mit dem «Para-Graf 2022» das TV-Magazin von SRF zu den Paralympics in Peking. Zudem wird er immer wieder für Podien angefragt, als Teilnehmer oder als Moderator. «Es läuft», würden Fussgängerinnen und Fussgänger sagen, «es rugelet», sagt der Rollstuhlfahrer.

«Ich nehme sehr viel von dem, was ich höre, in mein Leben mit», antwortet Jahn Graf auf die Frage, was ihn antreibt, sich immer wieder auf neue Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner einzulassen. Und: «Nur wenn man miteinander redet, gibt es auch ein Verständnis füreinander.» Dazu gehöre einander zuzuhören, offen zu sein für die Argumente und die Weltsicht des Gegenübers, auch dann, wenn einem diese Welt zunächst fremd zu sein scheint.

Mit dem Interesse an der Welt, die vis-à-vis von ihm sitzt, ist für Graf auch der Wunsch und die Hoffnung verbunden, dem oder der anderen seine Welt verständlich zu machen. Seinen Blick auf die Dinge, sein Leben als Mensch mit Behinderung, das Leben von Menschen mit Behinderung ganz generell. Das gelingt oft, aber nicht immer. Vor allem bei Politikerinnen und Politikern auf nationaler Ebene stelle er immer wieder fest, dass das Interesse und das Wissen um die Anliegen von Menschen mit Behinderung an einem kleinen Ort sind.

«Nur die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung wird dazu führen, dass sie sich selbstverständlich in der Gesellschaft bewegen können.»

«Die Interviews und Moderationen sind eine Möglichkeit, mich sichtbar zu machen», sagt er. «Nur die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung wird dazu führen, dass sie sich selbstverständlich in der Gesellschaft bewegen können.» Von einer diversen Gesellschaft könne man dann sprechen, wenn er «nicht mehr wie ein Tier im Zoo bestaunt» werde. Und: «Diversität ist dann erreicht, wenn der Zugang zu Events und Gebäuden barrierefrei gestaltet ist und das auch öffentlich kommuniziert wird.»

Es erfordere Mut

Für ihre Sichtbarkeit seien Menschen mit Behinderung zu einem guten Teil auch selbst verantwortlich, betont Jahn Graf. «Integration und Inklusion ist immer ein Miteinander.

Es erfordere dabei Mut, hinauszugehen, denn man könne auch mal verregnet werden. Sein eigener Weg aber macht deutlich, dass sich aber immer wieder die Sonne zeigt. Der einstige Sonderschüler, der seinerzeit eine Ausbildung im geschützten Rahmen machte, die ihn kaum interessierte, hat mit viel Engagement sein Hobby zum Beruf gemacht.

Und ganz wichtig für ihn: Es gelingt ihm immer besser, sein eigenes Geld zu verdienen und so schrittweise die IV-Rente zu reduzieren.