Das EPD – eine Herausforderung für Institutionen

24.03.2022 Elisabeth Seifert,
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Rund die Hälfte der Pflegeinstitutionen haben sich einer (Stamm-)Gemeinschaft angeschlossen und den einige Monate ­dauernden Prozess bis zur Inbetriebnahme des elektronischen Patientendossiers in Angriff genommen. Die Erfahrungen von zwei Alterseinrichtungen zeigen, dass sich die Sache meistern lässt.

Mitglied einer zertifizierten (Stamm-)Gemeinschaft und andererseits technisch und organisatorisch in der Lage sein, behandlungsrelevante Daten in den elektronischen Patientendossiers ihrer Bewohnenden ablegen und darauf zugreifen zu können. Wie die jährliche repräsentative Umfrage des eHealth-Barometers zeigt, haben sich derzeit rund die Hälfte der Pflegeinstitutionen einer (Stamm-)Gemeinschaft angeschlossen und den einige Monate dauernden Prozess bis zur Inbetriebnahme des EPD in Angriff genommen. Die Zahlen machen deutlich: Auch wenn im Vergleich zum Vorjahr tüchtig Bewegung in die Sache gekommen ist, werden die gesetzlich vorgegebenen Termine längst nicht von allen Heimen eingehalten werden können.

«Die komplexen Anforderungen im technischen und organisatorischen Bereich sowie beim Datenschutz bedeutet eine grosse Hürde.»

Die Gründe dafür sind vielfältig – und liegen nicht nur in der Verantwortung der Institutionen. Aufgrund von Verzögerungen bei der Zertifizierung der insgesamt acht (Stamm-)Gemeinschaften sowie der Coronapandemie stellten viele Spitäler und auch Heime ihre Projekte zurück. Im Verlauf des letzten Jahres ist ein grosser Teil der Zertifizierungen über die Bühne gegangen, womit die Gesundheitseinrichtungen jetzt eine Basis für ihre Planungen haben. Eine Reihe von Spitälern, die eigentlich längst mit dem elektronischen Patientendossier arbeiten müssten, haben den Prozess erst jetzt abgeschlossen und das EPD in Betrieb genommen.

Neben solchen Verzögerungen bedeuten für viele Heime die komplexen Anforderungen im technischen und organisatorischen Bereich sowie beim Datenschutz eine grosse Hürde. Im Unterschied zu den Spitälern verfügen die Pflegeeinrichtungen, die im Durchschnitt 60 Bewohnerinnen und Bewohner betreuen und pflegen, über entsprechend begrenzte personelle und finanzielle Ressourcen. Zudem dürfte das elektronische Patientendossier bei der in aller Regel hochbetagten Klientel in den nächsten Jahren noch eher wenig nachgefragt werden.

Wir haben mit zwei Institutionen gesprochen, die trotz all der Schwierigkeiten und Bedenken das EPD-Projekt vor einem Jahr gestartet haben und im Anbindungsprozess weit fortgeschritten sind: zum einen mit der Zentrum Allmendhof AG in Männedorf ZH, eine Pflegeeinrichtung mit etwa 50 Bewohnerinnen und Bewohnern; und zum anderen mit der Residenz Au Lac in Biel BE, die 160 Personen mit einem breiten Mix von Dienstleistungen in begleiteten Wohneinheiten und in Pflegewohngruppen unterstützt.

Ein Portion Pragmatismus ist gefragt

Tina Werro, Leiterin Zentrale Dienste der Zentrum Allmendhof AG, kennt die Herausforderungen, denen gerade die vielen kleinen Heime bei der Einführung des EPD gegenüberstehen. Zum einen spricht sie die «hohen Kosten» an, die etwa für Lizenzen der benötigten Applikationen oder auch für die Mitgliedschaft bei einer Stammgemeinschaft anfallen.

«Wir stecken mitten in der Digitalisierung unserer Prozesse, das EPD ist ein logischer nächster Schritt.»

Zum anderen hält sie auch nicht hinterm Berg mit ihrer Kritik an den «vielen Vorgaben» beim Datenschutz, die allerdings nicht nur eine Folge des EPD seien, sondern auch des neuen Datenschutzgesetzes, das noch in diesem Jahr in Kraft treten dürfte. Den Kosten stehe aber auch klar ein Nutzen gegenüber, unterstreicht Werro, die beim Allmendhof gleichzeitig EDV-, Datenschutz-und EPD-Verantwortliche ist.

Den Nutzen sieht die Expertin vor allem längerfristig. «Wir stecken mitten in der Digitalisierung unserer Prozesse, das EPD ist ein logischer nächster Schritt.» Von den jetzigen Bewohnerinnen und Bewohnern werden wohl nur sehr wenige ein EPD eröffnen, meint Tina Werro. Mit der nächsten Generation werde sich das aber ändern. Je mehr Patientendossiers bestehen und je mehr Leistungserbringer, namentlich auch die Ärztinnen und Ärzte, am EPD angeschlossen sind, werde sich der Nutzen, etwa die Verhinderung von Doppelbehandlungen, voll entfalten können. «Bis sich das EPD etabliert, braucht es Zeit. Aber das ist bei einer solchen Umstellung völlig normal», sagt sie und fügt bei: «Es ist gut, dass man das jetzt auf nationaler Ebene so durchgezogen hat.»

Wie gelingt es aber gerade kleineren Heimen, den komplexen Anbindungsprozess zu stemmen? Bewährt habe sich etwa, so Werro, dass die Zentrum Allmendhof AG bei der EPD-Anbindung mit zwei anderen Alterszentren zusammenarbeite. Dadurch liessen sich Synergien gewinnen. Die Zusammenarbeit ermöglichte es auch, mit dem EPD Kompetenzzentrum ein Beratungsunternehmen zu engagieren. «Damit holen wir uns das nötige Know-how ins Haus und werden zeitlich entlastet.» Das EPD Kompetenzzentrum offeriert seine Dienstleistungen im Rahmen einer Branchenlösung der Föderation Artiset zur Beratung und Begleitung der EPD-Projekte.

Eine solche professionelle Begleitung vermittle Sicherheit, wobei es für die Verantwortlichen innerhalb des Heims immer noch genügend zu tun gebe. Bei den verschiedenen Projektschritten sei deshalb eine gute Portion Pragmatismus gefragt. Man habe sich deshalb etwa für die EPD-Portallösung entschieden, die technisch und organisatorisch weniger komplex ist als die integrierte Variante.

Während bei Letzterer die EPD-Plattform der Stammgemeinschaften und die elektronische Pflegedokumentation der Heime direkt miteinander kommunizieren, besteht bei der EPD-Portallösung keine automatische Verlinkung zwischen dem internen Pflegeinformationssystem und dem EPD-Portal. Die entsprechenden Dokumente müssen vom internen System heruntergeladen und auf das EPD hinaufgeladen werden. Neben den Kosten spielte beim Entscheid des Allmendhofs für die Portallösung auch die zu Beginn wohl eher geringe Anzahl an elektronischen Patientendossiers eine Rolle.

«Wir sehen das EPD als Chance, um darauf aufbauend eine eigentliche Digitalisierungsstrategie zu entwickeln»

Pragmatismus sei weiter, so Werro, auch bei der Definition sämtlicher Prozesse rund um das EPD erforderlich, immer unter Einhaltung der Vorschriften, versteht sich. Sie spricht damit den Prozess rund um die Bewohnerinnen und Bewohner an sowie die IT-, Personal- und Kommunikationsprozesse.

«Wir wollen eine Vorreiterrolle übernehmen»

Auch für eine grosse Einrichtung wie die Residenz Au Lac in Biel bedeutet die Anbindung an das EPD eine Herausforderung. Dennoch war für die Verantwortlichen auf der strategischen und operativen Ebene schnell klar, dass sie die integrierte Variante bevorzugen. «Wir sehen das EPD als Chance, um darauf aufbauend eine eigentliche Digitalisierungsstrategie zu entwickeln», sagt Irene Monachon, Leiterin Dienste und Projektleiterin EPD. Die noch junge, erst im Jahr 2009 eröffnete Residenz am Bielersee, wolle bei der Digitalisierung eine Vorreiterrolle übernehmen, erklärt Monachon. Das EPD sei ein Kernprozess zum Informationsaustausch mit den Bewohnerinnen und Bewohnern sowie den Leistungserbringern. Bei der integrierten Variante gehe es darum, diesen Kernprozess zu automatisieren und rasch, einfach und transparent zu halten.

Betriebsökonomin Monachon spricht von einem eigentlichen «Fliessen» der Informationen. Indem bei der integrierten Variante zum Beispiel die für den Übertritt ins Spital benötigten Dokumente gleichsam per Knopfdruck von der eigenen Pflegedokumentation ins EPD überspielt werden, reduziere sich die Fehlerquelle. Die Automatisierung verringere zudem den administrativen Aufwand, wodurch mehr Zeit für Pflege und Betreuung zur Verfügung stehen wird.

«Überall müssen wir uns überlegen, wie müssen die Prozesse künftig mit dem integrierten EPD gestaltet sein.»

Auch wenn sich der Nutzen erst voll entfalten kann, wenn sich das EPD bei den Bewohnerinnen und Bewohnern sowie den Leistungserbringern etabliert hat, sieht Irene Monachon bereits jetzt klare Vorteile: Die Anbindung an das EPD generell und ganz besonders die integrierte Variante zwinge die Institution dazu, sämtliche Prozesse zu hinterfragen und zu verbessern. Im Bereich der Bewohnerinnen und Bewohner, der IT, des Personalwesens und der Kommunikation, «überall müssen wir uns überlegen, wie arbeiten wir heute und wie müssen die Prozesse künftig mit dem integrierten EPD gestaltet sein.»

Eine besondere Herausforderung bedeuten auch für die Residenz Au Lac die Vorgaben rund um den Datenschutz und die Datensicherheit. Ähnlich wie bei den Prozessen sind für Irene Monachon auch diese Vorschriften eine Gelegenheit, «intern zu analysieren, wie wir mit schützenswerten Daten umgehen und wie wir das nach aussen kommunizieren».
Das ohnehin schon komplexe EPD-Projekt wird durch den Entscheid für die integrierte Variante noch etwas komplexer, vor allem auf der technischen Seite.

Nicht zuletzt aus diesem Grund nützt die Residenz Au Lac ebenfalls die Fach­expertise des EPD-Kompetenzzentrums. Einen besonderen Anspruch stellt etwa die Koordination der verschiedenen Partner dar, von der Stammgemeinschaft über den Lieferanten der Heimsoftware bis zur IT-Technik der Residenz. Darüber hinaus können die Fachexperten Orientierung bieten und bei den einzelnen Projektschritten rasch aufzeigen, was es zu beachten gilt und wo die Stolpersteine liegen.  

 

Foto: Residenz Au Lac.