ESSEN | Ganzheitliche und lebendige Gastronomie

07.02.2024 Salomé Zimmermann

In der sozialen Institution Ekkharthof im Thurgau werden Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen in den Anbau, die Produktion und die Zubereitung ­gesunder Nahrungsmittel eingebunden. Dadurch sind sie sensibilisiert für die ­Thematik des gesunden Essens. Wie das ­alles funktioniert, das zeigt ein Augen­schein vor Ort. 

Von Weinfelden aus dauert es eine gute halbe Stunde im Bus, vorbei an Dörfern, Weilern, Bauernhöfen, Feldern und Obstplantagen, bis der Ekkharthof im thurgauischen Lengwil etwas oberhalb von Kreuzlingen mit Blick auf den Bodensee sichtbar wird – eine soziale Institution, in der über 200 Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung gefördert und begleitet werden. Schon von Weitem ist anhand der verschiedenen, farbigen Gebäude mit ihrer typischen Konstruktion der runden Ecken erkennbar, dass sich der Ekkharthof an der anthroposophischen Philosophie ausrichtet. Dies bedeutet eine ganzheitliche Sichtweise auf das Leben und die Menschen, die hier wohnen und wirken.

Der vor über 50 Jahren gegründete Ekkharthof-Verein verfügt auch über Aussenstellen in der Region, eine heilpädago­gische Schule, Integrationsbetriebe und Förderateliers sowie verschiedene Wohnmöglichkeiten für alle Altersklassen, von Kindern bis ins hohe Alter, von der einmal wöchentlich betreuten Wohngemeinschaft bis zu Wohngruppen mit 24-Stunden-Betreuung. «Der Ekkharthof ist in den letzten Jahren stetig gewachsen und verfügt mittlerweile über ein sehr breites Pflege-, Bildungs-, Therapie- und Freizeitangebot», sagt der Kommunikationsverantwortliche Manolo Schwarz.

Lebensmittel für Eigengebrauch und Verkauf 

Ein spezielles Augenmerk richtet der Ekkharthof auf eine gesunde, nachhaltige und gleichzeitig leckere Ernährung. Der engagierte Gastronomieleiter und Küchenchef Manuel Müller erzählt, dass am Ekkharthof viele der verwendeten Nahrungsmittel selber angebaut und hergestellt werden. Davon zeugen die Felder, die Gewächshäuser, die Gärten, die Ställe und die verschiedenen Werkstätten, die Mitarbeitende, Auszubildende und Menschen mit Beeinträchtigungen gemeinsam bewirtschaften. Vieles wird für den Eigengebrauch und den öffentlich zugänglichen Bioladen produziert. In der Gärtnerei werden zudem Heilkräuter angebaut, ­welche in einer Medizinalfirma zu Medikamenten und Tees weiterverarbeitet werden. Dreimal pro Jahr finden grosse Märkte mit Festcharakter statt, an denen die Produkte unter der Marke «Hand und Hof» verkauft werden und sehr beliebt sind bei der Bevölkerung im ganzen Kanton Thurgau und darüber hinaus. 

Manuel Müller arbeitet seit 13 Jahren am Ekkharthof, entsprechend kennt er die Institution und ihre Menschen so gut wie seine Westentasche. Beim Rundgang über das Gelände wird er überall erkannt und freudig begrüsst. Alle sind per Du, das hängt laut Manuel Müller mit den flachen Hierarchien und dem familiären Charakter des Ekkharthofs zusammen, «wir sind hier fast ein eigenes kleines Dorf oder eine grosse Familie». 

Bioqualität im Laden und beim Essen 

Gleich beim Eingang des rosafarbenen Hauptgebäudes ­befindet sich der hauseigene Bioladen. Er ist bestückt mit den Nahrungsmitteln und weiteren Produkten aus den verschiedenen Werkstätten und Kunstateliers, von Konfitüren, Pasten, Holzspielzeugen bis zu Kerzen, alles in hoher Qualität, ergänzt durch eingekaufte Waren. «Es handelt sich um ein Vollsortiment, damit die verschiedenen Wohngruppen das Frühstück und das Abendessen und viele Waren des alltäglichen Gebrauchs gemäss den individuellen Bedürfnissen selbständig vor Ort einkaufen können», erläutert Müller. 

Die Hauptmahlzeit des Tages bildet das Mittagessen, das im grossen Speisesaal, der Cantina, gemäss dem Kantinen-­Prinzip zwischen zwölf und halb zwei Uhr in den verschiedenen Gruppen gestaffelt eingenommen wird. Jeden Tag unter der Woche gibt es ein frisch zubereitetes Menü aus den fünf Komponenten Suppe, Salat, Gemüse, Haupt­menü und Dessert, das am Buffet je nach Hunger und ­Vorlieben zusammengestellt werden kann. Wasser und Tee auf den Tischen stehen zur Verfügung. Fürs Wochenende mit seinem reduzierten Betrieb kocht das Küchenteam das Essen jeweils vor. 

«Wir ernähren uns hier am Ekkharthof hauptsächlich vegetarisch, im Verhältnis von 80 zu 20 Prozent, und das bereits seit den Anfängen, nicht erst in der heutigen Zeit, wo das verbreiteter ist», sagt Müller. Das Fleisch, das an zwei Tagen pro Woche auf dem Menüplan steht, stammt ebenfalls vom Ekkharthof, etwa vom Braunvieh aus den Ställen. «Schweinefleisch verwenden wir nicht mehr, da nicht alle Bevölkerungsgruppen dieses Fleisch essen», so Müller.

Nachhaltigkeit ist Programm 

Unterhalb des Speisesaals befindet sich die grosszügige ­Küche mit mehreren Kühlräumen. In Letzteren werden ­unter anderem die Boxen mit den Portionen für die Wohngruppen aufbewahrt, die jeweils am Morgen geholt und gemäss aufgeklebter Anleitung zubereitet werden. Auch das vorgekochte Essen fürs Wochenende wird in den Kühlräumen kalt gestellt. Daneben gibt es Vorräte, etwa haus­gemachte Salatsaucen. Derzeit sieht eine der Saucensorten rötlich aus, denn «momentan haben wir nur noch die roten Zwiebeln übrig», so Müller. Dies zeigt, wie sorgfältig gekocht wird, gemäss den Jahreszeiten und den vorhandenen Lebensmitteln, unter Verwertung möglichst aller Bestandteile und mit wenig Abfällen. In der Folge gibt es nie ganz genau das gleiche Essen, anders als etwa in Spitälern, wo ungefähr alle sechs Wochen die Menüs wiederholt werden. «Wir verwenden zudem robuste Mehrweggefässe», sagt Müller, «auch dies im Sinn der Nachhaltigkeit.» 

Grundprinzip Eigenverantwortung 

In der Küche ist Manuel Müller zusammen mit seinem Stellvertreter Jurij Simnacher und mit dem insgesamt etwa 20-köpfigen Team, bestehend aus Köchen, Arbeitsagoginnen, Auszubildenden und Menschen mit Beeinträchtigungen, in seinem Element. Es wird ruhig und konzentriert gearbeitet, das Grundprinzip ist viel Eigenverantwortung gemäss den individuellen Möglichkeiten. «Wir von der Leitung stellen vor allem die Rahmenbedingungen sicher, damit alle ­möglichst selbstständig arbeiten können», sagt Müller.

Es ist ihm sehr wichtig, dass in der Küche alle mithelfen und mitbestimmen können. So wird etwa einmal wöchentlich gemeinsam das Mittagsmenü für die verschiedenen Wochentage bestimmt und auf einer grossen Tafel notiert. «Anders als in herkömmlichen Küchen haben wir zudem keine fix zugeteilten Posten, sondern arbeiten in den fünf Gruppen Rüsten, Kalte Küche, Produktion, Diätküche und Hygiene und rotieren gemäss individuellen Wünschen und Möglichkeiten», ergänzt Jurij Simnacher. Der Gastronomieleiter und sein Stellvertreter betonen, wie praktisch es ist, dass sie viele Produkte für die Küche direkt in den rund 15 hauseigenen Werkstätten bestellen können, etwa die Milch und Joghurts aus der Molkerei oder frisches Brot aus der Bäckerei. Dazu braucht es einzig einen gewissen Vorlauf der Bestellungen, damit alles reibungslos funktioniert. 

Klare Strukturen und klare Kommunikation 

Wer darf in der Küche mitarbeiten? «Da sind wir sehr offen, es gibt nur praktische Einschränkungen, beispielsweise ist es nicht möglich, dass Personen im Rollstuhl in der Küche tätig sind», sagt Müller. Nach einer Probezeit wird gemeinsam entschieden, ob die Zusammenarbeit passt.

«Wir von der Leitung stellen vor ­allem die Rahmenbedingungen ­sicher, damit alle möglichst ­selbstständig arbeiten können. In der Küche sollen alle mithelfen und mitbestimmen.» Manuel Müller, Gastronomieleiter und Küchenchef

Generell fällt auf, wie gut alles beschriftet und mit Piktogrammen versehen ist, damit auch diejenigen, die weniger gut lesen können, verstehen, worum es geht. Die Strukturen in der sauberen Küche sind sehr klar und übersichtlich, überall hängen To-do-Listen, alles hat seinen festen Platz, es wird klar, dass das System gut durchdacht ist. Das ist auch nötig, denn «am Ekkharthof wird mittlerweile pro Woche eine halbe Tonne Gemüse verarbeitet», erläutert Manuel Müller die Dimensionen. Für jeden Wochentag bereitet das ­motivierte Küchenteam zwischen 300 und 350 und für das Wochenende etwa 80 Mittagessen zu, alles zu fixen Arbeitszeiten unter der Woche. «Entscheidend ist bei diesen ­Mengen neben der guten Planung auch eine klare Kommuni­kation und Aufgabenverteilung, damit immer alle wissen, was wann zu tun ist», so Müller.

Ständige Weiterentwicklung 

Die Menschen mit Beeinträchtigungen werden am Ekkhart­hof sensibilisiert für das Thema gesunde Ernährung, indem sie in den verschiedenen Bereichen im Garten, in den Werkstätten, im Bioladen und in der Küche in die Herstellung gesunder Nahrungsmittel involviert sind. Wie wir alle haben sie aber manchmal Lust auf Junkfood – und das ist gemäss Müller ausserhalb des Geländes auch in Ordnung. Dies bedeutet, dass der Ekkharthof einen pragmatischen Mittelweg zwischen Ver- und Geboten und der Selbst­bestimmung geht. 

Die Auseinandersetzung mit gesunder Ernährung bedeutet am Ekkharthof auch eine stete Weiterentwicklung und ­Anpassung an aktuelles Wissen. Dies geschieht durch regelmässige Schulungen und Weiterbildungen, nicht zuletzt durch externe Expertinnen und Experten. Eine besonders geschätzte Ansprechperson ist Christoph Roos, Bildungs­beauftragter Gastronomie / Selbst- und Sozialkompetenz von Artiset. Mit seiner Hilfe wird laut Manuel Müller derzeit weiter am Ernährungskonzept des Ekkharthofs gefeilt, zum Nutzen und zur Freude aller Menschen am Ekkharthof und der Bevölkerung im näheren und weiteren Umfeld.

 


 



Fotos: Philipp Uricher