FÜHRUNG | Aktivierende Strukturen – für alle

08.06.2022 Claudia Weiss

Die Heime Kriens AG, LU, hat sich im Lauf der letzten Jahre von einer flach hierarchischen Institution zu einem agilen, kollegial geführten Unternehmen entwickelt. Seit 2021 ist diese Entwicklung im Organigramm ersichtlich: Es verläuft nicht mehr von oben nach unten, sondern in Kreisen von innen nach aussen.


Agiler Alltag im Bild: Zur Fotostory


Die Veränderungen in den Heimen Kriens AG hatten sich seit vielen Jahren angebahnt. Die Häuser Zunacher 1 und 2, Grossfeld und Kleinfeld sollten sich zum erweiterten Lebensraum für ältere Menschen wandeln. Die 2020 und 2021 eröffneten dezentralen Pflegewohngruppen Lindenpark und Adagio wurden von Anfang an agil gestaltet, als Orte, an denen Selbstwirksamkeit, Wertschätzung, sinnzentrierter Alltag und aktive Mitgestaltung zählen. Und die den zunehmend jüngeren Mitarbeitenden viel Partizipation, Transparenz, Austausch und Autonomie ermöglichen – und damit Handlungsspielraum in der Arbeit.

Eine offene Struktur war schon seit Jahren eine Grundhaltung, 2021 sollten definitiv kollegial geführte Teams die flach hierarchischen Strukturen ablösen. Ein nicht ganz einfaches Vorhaben für eine Institution mit 314 Bewohnenden und über 400 Mitarbeitenden in 14 Wohn-/Lebensbereichen und Teams aus Küche, Technischem Dienst, Hauswirtschaft und Administration.

Damit das in Bewegung kommt, braucht es kreative Köpfe, aber auch einen Verwaltungsrat und einen Institutionsleiter, die hinter dieser Vision stehen. Guido Hübscher, Leiter Heime Kriens AG, unterstützt die neue agile Organisation vollauf: «Wir beziehen Mitarbeitende und Bewohnende wo immer möglich in Entscheide und Veränderungsprozesse mit ein», sagte er schon 2019, als er den ersten Preis des «Swiss Arbeitgeber Awards» entgegennahm.

Mitarbeitende gut an Bord holen

«Tatsächlich lässt sich eine kollegial geführte Organisation nicht so einfach überstülpen», erklärt Bart Staring. Er und sein Kollege Zoran Nacev sind heute im «Koordinationskreis Pflege und Betreuung» mitverantwortlich für personelle Angelegenheiten, Bildung, Entwicklung und fachliche Unterstützung.

Gemeinsam haben sie intensiv Ideen von agilen Organisationen, Arbeitsinstrumenten und Hilfsmitteln gesammelt und überlegt, was in ihrer Organisation Sinn macht. «Wir standen immerhin vor der Challenge, die Organisation neu zu gestalten und damit die Lebensqualität auf allen Ebenen weiter zu fördern», sagt Staring. Um das aufzugleisen, suchten sie punktuell Unterstützung bei einem externen Organisationsberater. Und im Alltag halfen immer wieder strategische Überlegungen: Bei Pensionierungen suchten die Verantwortlichen ganz bewusst nach initiativen Fachkräften, die die neuen Ideen mittragen würden. Ausserdem sollte eine sinnvolle und gut abgestimmte Kommunikation den Prozess unterstützen und die Mitarbeitenden – nicht alle von Anfang an begeistert – gut an Bord holen. Aus diesem Grund suchten Staring und Nacev nach möglichst einfach praktikablen, auf das Wichtigste reduzierten Lösungen.

«Wir haben uns bewusst für das Kanban-System entschieden», erklärt Nacev: «Dieses System mit farbigen Klebezetteln ist unkompliziert anzuwenden und lässt viel Spielraum.»

«Flexibilität, Lebendigkeit und Miteinander»

Wie sie den definitiven Schritt konkret angepackt hätten? «Im Vorfeld haben wir gemeinsam das Leitbild entwickelt und alle Perspektiven visualisiert», erklärt Bart Staring. Zeitgleich habe sich der Verwaltungsrat zusammen mit einem internen Kreis von Mitarbeitenden mit der neuen Strategie beschäftigt und Visionen für diese neue Form des Zusammenlebens und -arbeitens formuliert.

«Dieser Paradigmenwechsel, bei dem wir uns am Menschen orientieren, führte zum Modell ‹kollegial geführte Organisation›.» Daraus resultierten vier Themenkreise: Im Zentrum die Inhaberin Heime Kriens AG und der Verwaltungsrat, drumherum die Koordinations-, Dienstleistungs- und Geschäftskreise. Innerhalb dieser Kreise sind die Aufgaben nach Fähigkeiten und Ressourcen verteilt.

Inzwischen haben sich Hilfsmittel wie die Kanban-Tafel, Standig up, Timebox, themenzentrierte Kreise und teaminterne agile Coaches mehrheitlich gut in den Arbeitsalltag eingefügt. Es hab sich gezeigt, dass mehr Austausch innerhalb der Themenkreise stattfindet als in der vorherigen Organisationsform, sagen Staring und Nacev übereinstimmend.

Aber die Entwicklung brauche Zeit. Nacev sagt: «Es ist daher wertvoll, keinen konkreten Zeitplan zu erstellen, sondern dem Prozess Raum und Zeit zu geben.» Die Handlungsspielräume seien kreativer geworden, die Verantwortung breiter abgestimmt. Die Teams, so hören sie, schätzen die Flexibilität und Lebendigkeit und das Miteinander.

Das Zukunftsziel? «Wir wollen den Lebensraum, die Kommunikation, die sozialen Beziehungen und den Gestaltungsspielraum weiter fördern», sagt Bart Staring. Das lasse Raum für einen sinnstiftenden, gemeinsam gestalteten Alltag. «Und damit erreichen wir, dass sowohl die Lebenszufriedenheit der älteren Menschen als auch die Arbeitsfreude der Mitarbeitenden hoch ist.»



 

Fotostory:
Agiler Alltag für mehr Lebensqualität
 

Der Alltag in den Heimen Kriens AG ist durch die neue kollegiale Organisationsstruktur, die wir in in unserem Magazin auf den Seiten 6 bis 9 vorstellen, manchmal ein wenig anspruchsvoller geworden. Vor allem aber lebendiger: Die Bewohnerinnen und Bewohner dürfen ihren Alltag mitgestalten und die Mitarbeitenden tauschen sich manchmal auch spontan im Freien aus. Und aus einer der regelmässigen Kanban-Sitzungen, bei denen sich alle aktiv beteiligen und Ideen einbringen, kann manchmal ein ganz spontaner Mini-Ausflug entstehen

 

Kanban-Sitzung im ersten Stock des Hauses Zunacher 1: Alle reden aktiv mit, Ideen sind erwünscht. Damit alle auf dem gleichen Informationsstand sind, werden sämtliche Informationen und Aufgaben klar und für alle sichtbar auf verschiedenfarbigen Zetteln an die Kanban-Wand geheftet. 

 

Eine Sitzung im Stehen.

Eine Sitzung im Stehen: Zusätzliche Instrumente wie Timebox – eine genau definierte Zeitspanne für ein bestimmtes Thema – oder StandUp, das alle ein bisschen aktivieren soll, unterstützen die aktive Beteiligung und lockern Sitzungen auf, damit sie effizient und ergebnisreich ablaufen.

 

Die verschiedenfarbigen Zettel an der Kanban-Wand werden laufend ergänzt – oder wieder abgehängt, wenn sie erledigt sind. Auf Blau stehen die Informationen für alle, auf Rot werden Aufgaben festgehalten, und Gelb heisst, dass sich der Kolleginnenkreis darum kümmert.

 

Mitsprache für alle: In Kriens reden nicht nur die Mitarbeitenden mit: Ein Thema der Kanban-Sitzung war die bevorstehende Wohlfühlwoche, und dabei sind auch die Wünsche aller Bewohnerinnen und Bewohner gefragt. Spontan treffen sich Coach Karolina Nicoud (links im Bild) und die Tagesverantwortliche Claudia Schlumpf (rechts im Bild) nach der Sitzung mit Bewohnerin Rosmarie Gisler, 86, die seit fünf Jahren im Haus Zunacher 1 wohnt. Sie weiss sofort, was ihr Freude machen würde: «Hauptsache hinaus ins Grüne.» Zivilschützer Tomaso Sorrentino nickt, solche Wünsche erfüllt er gerne. «Spontane Anpassungen je nach Tagesform sind dann immer noch möglich», sagt er. «Aber so können sich die Seniorinnen und Senioren schon im Voraus darauf einstellen und sich freuen.»

 

Weil Rosmarie Gisler ohnehin schon im Rollstuhl draussen sitzt, bietet ihr Zivilschützer Tomaso Sorrentino kurzerhand eine kleine Spazierrunde im schönen Park an. Die muntere Bewohnerin zögert nicht und setzt sich zufrieden im Rollstuhl zurecht.

 

Im üppig grünen Park der Heime Kriens gibt es immer etwas zu sehen, und in den hohen Bäumen landen immer wieder Singvögel. Rosmarie Gisler schätzt es sehr, dass sie im Altersheim mitreden oder eben auch einmal einen spontanen Wunsch äussern darf.

 

Besprechungen müssen nicht immer sitzend an einem Tisch stattfinden, sondern können auch stehend und im Freien stattfinden. Die neue kollegiale Organisationsstruktur lässt viel Freiheit zu und fördert dadurch eine aktivere Beteiligung von Mitarbeitenden und Bewohnenden gleichermassen. Hier stellt sich der Koordinationskreis Pflege und Betreuung für ein spontanes Fotoshooting zur Verfügung. Von links: Maureen Aschwanden, Bart Staring, Zoran Nacev, Rosmarie Wey und Jasmin Achermann. Auf dem Bild fehlt Marius Graefe.

 


Foto: Marco Zanoni