Wie Heime Kochtalente fördern

Lernende von Heimküchen hatten an der diesjährigen Schweizer Meisterschaft für Kochlernende, der «Gusto 25», die Nase vorn: Céline Grossmann von der Stiftung für Betagte in Münsingen BE belegte den ersten und Nicolas Imholz vom Altersheim Spannort in Erstfeld UR den zweiten Platz. Im Gespräch nennen sie Gründe dafür: Von Kindsbeinen stehen die beiden zu Hause am Herd und suchten danach den Teamgeist in familiären Betrieben, um ihre Leidenschaft auszuleben.
«Es hat so viel Spass gemacht», lässt Céline Grossmann (18) tags darauf wissen. Der Spass war an der Preisverleihung der Schweizer Meisterschaft für Kochlernende am Transgourmet/Prodega-Galadiner im Zürcher Kongresshaus vom 14. März unübersehbar. Ausschlaggebend war nicht die Auszeichnung allein, sondern auch der Ansporn und die Kameradschaft, die Grossmann und die anderen fünf Kochlernenden gemeinsam erlebten, während sie für den Wettbewerb zuerst Probe kochten und danach im Preiskochen wetteiferten. Spontan umarmte Grossmann an der Preisverleihung Nicolas Imholz (18), als er den zweiten Preis erhielt.
Ausgezeichnet wurden im Grunde genommen alle sechs Nominierten des «Gusto 25»-Kochwettbewerbs, denn die Jury hatte sie aus 112 Lernenden ausgewählt. Alle hatten zuvor nach speziellen Vorgaben – wie das Zubereiten von einheimischem, im März erhältlichem Gemüse – das Bild ihres zubereiteten Menüvorschlags einzureichen. Auffallend bei den sechs Eingeladenen ist, dass drei in Heimküchen anzutreffen sind: Neben Grossmann, die in Münsingen BE in der Küche der Stiftung für Betagte steht, und Imholz, der in Erstfeld UR die Menschen im Altersheim Spannort bekocht, wurde noch Noah Ernst (16) eingeladen, der in Laupen BE im Betagtenzentrum für die Bewohnenden und für die Kinder der Tagesschule das Essen zubereitet. Er wurde mit den zwei anderen Kollegen mit dem 4. Platz geehrt.
Neue Vielfalt in Heimküchen
Fragt sich, wieso Lernende von Heimküchen gegenüber jenen von Restaurationsbetrieben proportional viel stärker an der Meisterschaft vertreten waren. Trifft denn das Klischee nicht zu, das Heimküchen mit anspruchsloser Standardküche gleichsetzt, wo Lernende zur altersverträglichen Kost angeleitet werden? Die Frage geht an Lorenz Wegelin, Gesamtleiter Hotellerie und stellvertretender Geschäftsleiter von Domicil Lentulus in Bern: «Es stimmt schon, dass die ältere Generation in Heimen durchgekochtes Essen auf dem Teller vorzieht. Und Reklamationen eher eintreffen, wenn ein Gemüse zu viel Biss hat.» Doch Wegelin stellt auch eine andere Tendenz fest: «Heute treten bereits Betagte einer Generation ein, die schon weit in der Welt herumgereist ist.» Er erinnert sich, wie an den ehemaligen Arbeitsorten orientalische, sri-lankische oder thailändische Gerichte bei den Bewohnerinnen und Bewohnern auf so grossen Anklang stiessen, dass diese in den Menüplan aufgenommen worden sind. Bekocht wurden die Bewohnenden dabei von Heimmitarbeitenden aus den jeweiligen Ländern. Wegelin erinnert sich an einen syrischen Mitarbeiter, der die besten Falafel zubereitet habe, die er je gegessen hat.
Work-Life-Balance ist besser möglich
Ein weiteres Klischee bejaht Wegelin jedoch. Im Gegensatz zur oft angespannten Hektik und der fiebrigen Atmosphäre in Restaurantküchen bis spät in die Nachtstunden, zeichnen sich Heimküchen durch eingespielte Abläufe, gute Planbarkeit und entspannte Atmosphäre aus, mit Arbeitseinsätzen, die noch vor 18 Uhr zu Ende sind. «Das Klischee stimmt und hat auch Folgen», meint Wegelin, denn: «Soziale Arbeitszeiten und Verträglichkeit veranlassen viele Köche der Spitzengastronomie dazu, die Stelle eines Küchenchefs in Heim- oder Spitalküchen zu ergattern.» Und dann geben sie hier ihr grosses Know-how an die Lernenden weiter.
«Soziale Arbeitszeiten und Verträglichkeit veranlassen viele Köche der Spitzengastronomie, die Stelle eines Küchenchefs in Heim- oder Spitalküchen zu ergattern. Und dann geben sie hier ihr grosses Know-how an die Lernenden weiter.» Lorenz Wegelin, Gesamtleiter Hotellerie und stellvertretender Geschäftsleiter von Domicil Lentulus
So ist es schon Wegelin ergangen. Er stand als Lernender in der Küche des Inselspitals und wurde dort von einem Küchenchef gefördert, der der Familie zuliebe den Herd des Spitzenrestaurants verlassen hatte. Und so gewann Wegelin vor 20 Jahren die Schweizer Meisterschaft an der ersten Austragung des Gusto-Kochwettbewerbs. Auch Wegelin hat die hohe Kunst der Spitzengastronomie unter anderen im Berner Restaurant «Schöngrün» gepflegt, bevor er aus obigem Grund zur Heimküche wechselte. Was Wegelin für die Heimküche betont und auch von Gusto-Teilnehmenden bestätigt wird, betrifft die marktfrische Zubereitung des verarbeiteten Gemüses, das möglichst regional eingekauft wird; einzelne Ausnahmen sind Grünerbsen und Spinat aus der Gefriertruhe.
Von Kindsbeinen an am Herd
Ob aber eine Ausbildung von zwei oder drei Jahren schon genügt, um es an die Spitze der Schweizer Meisterschaft zu bringen? Wohl kaum, jedoch ebnen die Heimküchen den Boden dazu. An den Lebensläufen von Céline Grossmann und Nicolas Imholz lässt sich nämlich erkennen, dass sie, beginnend am familiären Herd, bereits über eine nahezu zehnjährige Ausbildung verfügen. Und das Soziogramm der beiden sowie jenes von Noah Ernst zeigt, dass ihre Eltern – insbesondere die Väter bei Grossmann und Ernst – sie von Kindsbeinen an am Herd mitkochen liessen und ihnen dabei ihre Leidenschaft einimpften. «Mein Vater hat eine Mega- Passion fürs Kochen, und so stehen in unserer Küche auch professionelle Sous-vide-Gargeräte», sagt Grossmann. Und: «Wir beide haben zusammen immer gekocht, und am Samstag standen wir an den Ständen des Bärner Märits, wo ich Gemüse nach Lust und Laune einkaufen konnte.» Von ihrer Mutter, welche die erste Frau im Service des Starkochs Philippe Rochat in Crissier war, erhielt sie volle Unterstützung. Bei Noah Ernst war es auch der Vater, der ihn für die Küche begeisterte, und bei Nicolas Imholz war es die Mutter, die ihn mit acht Jahren an den Herd holte. Mit Erfolg, wie Nicolas erklärt: «In der Oberstufe habe ich mit 12 Jahren angefangen, das Mittagessen für die Familie zu kochen.» Stand das Menü auf dem Tisch, rief er seine Eltern an, die den Dorfladen Isenthal führen.
Leidenschaft und Routine
Das wertschätzende familiäre Netzwerk ist später ausschlaggebend für die Wahl der Lehrstelle. Zwar fühlt sich Noah Ernst beim Schnuppern auch in einigen Restaurants wohl, seine Wahl fiel jedoch auf das Betagtenzentrum Laupen, weil die planbaren Arbeitszeiten es ihm erlauben, abends seinen Freundeskreis und sportliche Aktivitäten zu pflegen. Nicolas Imholz bevorzugte die Arbeitszeiten in einer Heimküche schon deshalb, weil der letzte Postautobus von Altdorf nach Isenthal um 17.21 Uhr fährt. Aufgrund von drei Schnupperbesuchen sprach ihn dann «Spannort» in Erstfeld am meisten an.
Céline Grossmann sicherte sich schon mit 14 Jahren die Stelle in Münsingen bei der Stiftung für Betagte, als sie vernommen hatte, dass deren Küchenchefin einst auch am Kochwettbewerb teilgenommen hatte. Für ihre Ambition, es ihr gleichzutun, begab sie sich ein Jahr vor Stellenantritt auf Lernwanderschaft: vier Monate in die Räucher- und Hexenküche von Stefan Wiesner in Escholzmatt, einen Monat bei Confiseur Rolf Mürner in Rüeggisberg, drei Monate Stage in der Chäsi Zäziwil, vier Monate in der Jumi-Metzgerei von Jürg Wyss, eine Woche auf einem Bauernhof in Trimstein und einen Tag auf dem Schlachthof. Dazu gesellte sich die kulinarische Erfahrung der malaysischen Küche im Restaurant Bahnhof in Worb.
Die Erfahrungen und kulinarischen Einflüsse liess Céline Grossmann in ihr Wettbewerbsmenü einfliessen: asiatisches Flair in der Vorspeise aus eingelegten Zwiebeln und Kimchi (fermentierter Chinakohl) und sautiertem Nierenzapfen aufgelegt auf dem luftigen, leicht süsslichen Bao-Bun-Hefeteig. Die Wiesner-Reminiszenz machte sich auf der geschmorten Miso-Zwiebel, garniert mit einem Zwiebel-Chips-Geflecht inklusive Zwiebelasche, bemerkbar. Während ihre Konkurrenten meist auf Karotten setzten, servierte sie eine sous-vide gegarte Schwarzwurzel in einem Röstzwiebel-Knoblauch-Knusper. Ein zartes Stück Piemonteser-Rindfleisch wählte sie für den Hauptgang. In Teriyaki mariniert und bereits vorgeschnitten bereitete sie es auf dem japanischen Grill zu. Als Deko diente eine Kartoffelkrokette mit geraffelter Belper-Knolle.
Mit diesem reichhaltigen Geschmacksbouquet mochte Imholz wohl nicht ganz mithalten, aber sein «Gotthardmassiv»-Menü bestach in der originellen Vermählung der Urner- mit der Tessinerküche: das Petite-Tendre vom Rind und die confierte Karottenschnitte mit Trüffelwurst aus dem Kanton Uri, die Polenta gefüllt mit Spinat-Ricotta-Kern aus dem Tessin. Seine langjährige Routine in der Küche hatte Imholz zuvor noch mit einem dreiwöchigen Stage bei Silvio Germann in der Caminada-Küche ergänzt.
Ihre Lehrzeit haben Grossmann und Imholz demnächst beendet. Wo wird man sie künftig antreffen? Für Imholz steht die RS an, danach würde er gerne in der gehobenen Gastronomie arbeiten. Grossmann schwebt vor, im Team zu kochen und die Gäste mit der Herkunft der verwendeten Produkte vertraut zu machen. In diesem Sinn nennt sie «Die solidarische Landwirtschaft Setzhouz» in Trimstein, eine Kooperation von Produktionsbetrieben und Konsumierenden. In dieser Kooperation ist sie für das Kochen zuständig. Zunächst winkt ihr als Preis ein dreiwöchiger kulinarischer Aufenthalt in Singapur, und ab August startet sie ihr eigenes Catering-Unternehmen
Foto: Gusto 25