«Die beruflichen Möglichkeiten aufwerten»

08.06.2022 Anne-Marie Nicole

Die Bildungskommission der lateinischen Schweiz der Föderation Artiset bietet leitenden Mitarbeitenden von Westschweizer Alters- und Pflegeheimen eine neue Weiterbildung an, die sie in ihrer Ausbildungsrolle unterstützt.

Die neue Weiterbildung «Renforcer son rôle d’institution formatrice» soll die Einrichtungen in ihrer Rolle als Bildungsinstitutionen stärken. Sie geht zurück auf Überlegungen der Bildungskommission der lateinischen Schweiz (Commission latine RH & Formation) der Föderation Artiset und wurde hauptsächlich von einer Arbeitsgruppe ausgearbeitet, der die Kantonalverbände der Kantone Genf (Fegems), Neuenburg (Anempa) und Waadt (Héviva) angehören.

Der Untertitel der Weiterbildung (De la politique de formation au rôle de référent institutionnel) bringt die Progression der drei Module vom Allgemeinen – der Bildungspolitik – zum Speziellen – der Bildungsreferentin bzw. dem Bildungsreferenten – gut zum Ausdruck. Das erste Modul (ein Tag) thematisiert die Qualität der Leistungen und die Entwicklung der Kompetenzen, indem es die Herausforderungen einer Bildungsorganisation und die Bedeutung der Ausbildung im institutionellen Projekt in Erinnerung ruft. Das zweite Modul (ein Tag) befasst sich mit der Ausarbeitung einer institutionellen Bildungsstrategie und das dritte Modul (zwei Tage) mit der Definition des Bildungsplans sowie der Identifikation und der Rolle als Bildungsreferent/in.

Bei vollständigem Besuch der Weiterbildung erhalten die entsprechenden Einrichtungen eine vierstündige Begleitung, um die praktische Umsetzung der in den Modulen erworbenen Konzepte und Kenntnisse zu fördern. Schliesslich soll ein jährlicher Weiterbildungstag den Ansatz langfristig verankern und eine interkantonale Gemeinschaft der Bildungsinstitutionen schaffen.

Laut Genghis Gossin, Vorsitzender der Bildungskommission der lateinischen Schweiz, ist es für die Einrichtungen unerlässlich, eine Bildungsstrategie und einen internen Bildungsplan zu definieren, um die Qualität der Leistungen sicherzustellen und die Kompetenzen der Teams zu stärken.

Herr Gossin, die neue Weiterbildung zur Unterstützung der Ausbildungsrolle ist gewissermassen eine Premiere für die Westschweiz?
Ja, tatsächlich. Zum ersten Mal wird damit ein echtes Weiterbildungsangebot für die Westschweizer Alters- und Pflegeheime von Artiset, früher Curaviva Schweiz, angeboten. Bis heute haben wir lediglich thematische Schulungstage durchgeführt. Wir wollen damit eine Lücke in diesem Bereich schliessen. Es handelt sich aber vorerst um einen Pilotversuch, den wir auswerten und anpassen werden, um die Bedürfnisse der Westschweizer Einrichtungen bestmöglich zu erfüllen.

«Seit einiger Zeit zeichnet sich im Bereich der Langzeitpflege ein klarer Trend ab. Es findet eine starke Diversifizierung der Strukturen und damit der Berufe statt.»

Welches Ziel verfolgt das neue Bildungsangebot?
Allgemein wird damit die Unterstützung der Einrichtungen in ihrer Aufgabe als Ausbildungsbetrieb angestrebt. Wir wollen ihnen Instrumente, Orientierung und Handlungsmuster vermitteln, damit sie sich den Herausforderungen der Zukunft stellen können.
Seit einiger Zeit zeichnet sich im Bereich der Langzeitpflege ein klarer Trend ab. Es findet eine starke Diversifizierung der Strukturen und damit der Berufe statt. Sie entwickeln sich weiter und sind nicht mehr dieselben wie vor 20 Jahren.
Mit unserem Angebot von heute müssen die Einrichtungen dieser Entwicklung vorgreifen und folgen können. Es geht aber auch darum, den Nachwuchs angemessen vorzubereiten und die beruflichen Möglichkeiten bei der Langzeitpflege aufzuwerten. Dazu leistet die Schulung einen wichtigen Beitrag.

Wann startet das neue Angebot?
Die Bildungskommission setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Verbände und Institutionen aller Kantone der lateinischen Schweiz zusammen. Unser regelmässiger Austausch führte zur übereinstimmenden Feststellung, dass Bildungsreferenten und -referentinnen in den Einrichtungen notwendig sind. Aber wir haben rasch feststellen müssen, dass das allein nicht genügt.
Über diese Referenzpersonen hinaus muss die Einrichtung selbst die Rolle als Ausbildungsbetrieb auf allen Ebenen wahrnehmen. Sie tut dies, indem sie eine Bildungsstrategie und einen Bildungsplan definiert, um die Qualität der Leistungen und die Entwicklung der Kompetenzen sicherzustellen.

Bedeutet dies, dass die Einrichtungen heute nicht in der Lage sind, diese Rolle zu übernehmen?
Doch, bis zu einem bestimmten Grad sind sie das. Die Bildungskommission will ihnen jedoch einen systematischeren Ansatz vorschlagen. Ein methodischer Leitfaden soll ihnen helfen, eine interne Bildungsstrategie umzusetzen und ihre Rolle als Ausbildungsbetrieb verstärkt wahrzunehmen. Die Einrichtungen sind stark gefordert, Lehrstellen und Praktikumsplätze anzubieten. Dabei unterliegen sie den kantonalen gesetzlichen Vorgaben für die Berufsbildung. Sie müssen Personal einstellen und es weiterbilden.
Mit unserem Angebot möchten wir die Einrichtungen für die Bedeutung der betrieblichen Ausbildung sensibilisieren und ihnen die besten Instrumente dafür zur Verfügung stellen.

Worin liegen die Stärken des neuen Bildungsangebots?
Sicher im modularen Aufbau und in der Dauer, denn im Gegensatz zu anderen Angeboten auf dem Markt ist diese Weiterbildung kurz, aber intensiv. Damit begünstigen wir die Teilnahme von Führungskräften, für die es immer schwierig ist, ihrer Arbeit für längere Zeit fernzubleiben.
Das Interesse der Weiterbildung liegt auch im betrieblichen Follow-up, um das erlangte theoretische Wissen in der Praxis umzusetzen, sowie im jährlichen Austauschtag.

Was kann eine Einrichtung dazu motivieren, an dieser Ausbildung teilzunehmen?
Aktuell stellen wir eine Diskrepanz zwischen der Berufsbildung und dem Bedarf in der Praxis fest. Dank Definition einer internen Bildungsstrategie, die in allen Belangen den Bedürfnissen der Einrichtung gerecht wird und gleichzeitig den gesetzlichen Vorgaben für die Fachkompetenzen der Teams entspricht, lässt sich diese Diskrepanz verringern. Die Bildungsstrategie verbindet Theorie und Praxis und wird im jährlichen Ausbildungsplan konkretisiert.

Was könnte eine Einrichtung davon abhalten?
Die Vorstellung, dass es eine Zeitverschwendung ist, Kader in eine Ausbildung zu schicken, oder dass bisher immer alles gut so funktioniert hat. Klar ist, dass die Umsetzung einer Bildungsstrategie mit Zielen, Fristen und Follow-up ein langer und komplexer Prozess ist.

Wie lautet das überzeugende Argument?
Man muss sie davon überzeugen, langfristig zu denken. Vor allem finanzielle Auswirkungen werden nicht sofort spürbar sein. Aber die positive Beeinflussung der Fluktuation und des Teamgeistes sowie eine effiziente Ressourcennutzung werden sich bemerkbar machen. Der Raum für Austausch unter Gleichgesinnten ist sehr wertvoll für die gemeinsame Entwicklung der Rolle als Bildungsinstitution. Wir wollen mit dieser Weiterbildung keinen «One-Shot» anbieten, sondern einen langfristigen Prozess auslösen. Wir haben nicht den Anspruch, ein perfektes Modell zu liefern. Aber zusammen können wir gemeinsame Lösungen erarbeiten.


Unser Gesprächspartner

Genghis Gossin ist Vorsitzender der Bildungskommission der lateinischen Schweiz (Commission latine RH & Formation) der Föderation Artiset. Ausserdem ist er stellvertretender Geschäftsführer des Home Les Bouleaux, eines multistrukturellen Alters- und Pflegeheims in Corgémont (Berner Jura) und Vorstandsmitglied von ADIRO, der Vereinigung der Alters- und Pflegeheimleiterinnen und -leiter des französischsprachigen Kantons Bern.


Mehr über die Weiterbildung «Renforcer son rôle d’institution formatrice»

formation.heviva.ch



Foto: privat